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Ursula Nonnemacher spricht zur Aktuellen Stunde auf Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN „Antibiotika in der Nutztierhaltung – Antibiotikaresistenzen als Gefahr für die menschliche Gesundheit“

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- Es gilt das gesprochene Wort!

Anrede

Sie werden sich möglicherweise fragen, warum die Gesundheitspolitikerin der bündnisgrünen Landtagsfraktion zu dem Thema Antibiotikaeinsatz in der Nutztierhaltung das Wort ergreift. Ihrer Vermutung, dass es mit den nahenden Landtagswahlen zu tun haben könnte, würde ich nicht allzu vehement widersprechen. Viel wichtiger ist mir aber darauf hinzuweisen, dass wir ein dringendes gesundheitspolitisches Problem, nämlich die Zunahme von Antibiotikaresistenzen bei einer Vielzahl von Krankheitserregern nur durch eine Erweiterung unseres Blickwinkels wirksam bekämpfen können. Und dazu müssen wir nicht nur auf unsere Krankenhäuser schauen und von Hospitalismuskeimen, Krankenhaushygiene und Multimorbidität reden, sondern wir müssen unseren Blick auch auf die Ställe, insbesondere auf die Intensivtierhaltungsanlagen richten.

Im November letzten Jahres hat die Bundesregierung eine grundlegende Überarbeitung der Deutschen Antibiotika-Resistenzstrategie (DART)vorgestellt, mit der seit 2008 ressortübergreifend versucht wird, dem Problem zu begegnen. Dabei sagte der Staatssekretär des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Dr. Kloos: „Wir sind uns alle bewusst, dass wir die Verbreitung von Antibiotikaresistenzen gemeinsam bekämpfen müssen – Veterinär- und Humanmedizin Hand in Hand.“

Deshalb ist es von großer Bedeutung, dass zum 1.4.2014 die 16. Novelle des Arzneimittelgesetzes in Kraft getreten ist, mit der erstmals strategisch versucht werden soll, den Antibiotikaeinsatz in Mastbetrieben flächendeckend zu verringern und damit einen wesentlichen Beitrag im Kampf gegen die Resistenzproblematik zu leisten. Wie die Antwort auf unsere Kleine Anfrage ergeben hat, fehlt es auch in Brandenburg bisher an jeglicher systematischen Erfassung und Auswertung des Antibiotika-Einsatzes in der Nutztierhaltung.

Antibiotika haben sich seit der Entdeckung des Penicillins durch Alexander Fleming als eine ungeheure Erfolgsgeschichte der modernen Medizin erwiesen. Viele bislang tödlich verlaufende Erkrankungen konnten nun sicher und zuverlässig behandelt werden. Seit einigen Jahrzehnten treten aber vermehrt antimikrobielle Resistenzen auf. Der erst vor zwei Wochen veröffentlichte globale Bericht der Weltgesundheitsorganisation kommt hier zu alarmierenden Ergebnissen. Weltweit nimmt die Zahl resistenter Keime zu, die WHO spricht bereits von einer „postantibiotischen Ära“, wenn nicht schnell und koordiniert gehandelt wird. Sonst könnten Zeiten drohen, in denen es bei bedrohlichen Infektionen keine Behandlungsoptionen mehr gibt.

Die Zahl der Patienten, die heute schon jährlich allein in deutschen Krankenhäusern an Infektionen durch multiresistente Erreger stirbt, wird auf bis zu 30.000 geschätzt. Resistenzen entwickeln sich dort, wo der Antibiotikaeinsatz besonders hoch ist. Und das sind nicht nur unsere Krankenhäuser, sondern insbesondere Anlagen der industriellen Tiermast.

Jährlich werden in Deutschland ca. 800 Tonnen Antibiotika in der Humanmedizin eingesetzt, mehr als doppelt so viele, nämlich 1600 (2012) Tonnen in der Veterinärmedizin, mehr als in jedem anderen europäischen Land. Die Menge der verabreichten Antibiotika pro erzeugter Tonne Fleisch ist in Deutschland fünf Mal so hoch wie in Dänemark. Und immer mehr Reserveantibiotika werden in der Nutztierhaltung eingesetzt, wo sie überhaupt nichts zu suchen haben. Auch die arzneimittelrechtlichen Kontrollen der Veterinär- und Lebensmittelüberwachungsämter in Brandenburg sind absolut unzureichend, wenn bei der jährlichen Überwachung 80 bis 90 Prozent der Risikobetriebe – die also besonders viele Tiere halten - nicht kontrolliert werden.

Schauen wir uns einen bekannten Problemkeim, den Methicillin-resistenten Staphylokokkus aureus an! In mehr als der Hälfte aller konventionellen Schweinemastanlagen in Deutschland tragen die Tiere eine spezielle Variante davon. In Sachsen laut einer parlamentarischen Anfrage in 78,1% der Betriebe. Die Häufigkeit dieser MRSA in Mastbetrieben korreliert mit der Bestandsgröße. 86% der beruflich dort Tätigen sind von demselben Keim besiedelt. Diese Daten stammen nicht von angegrünten Weltuntergangsapologeten, sondern vom Robert-Koch-Institut.

Eine Studie aus den Niederlanden, die auch im Deutschen Ärzteblatt vorgestellt wurde, registrierte steigende Raten dieser Viehstall-assoziierten MRSA-Keime auch bei Menschen, die nie Kontakt zu Tieren gehabt hatten. Sie wohnten aber in Regionen, in denen sich besonders viele Viehmastanlagen befanden. Das Robert-Koch-Institut listet in seinen Empfehlungen für ein Routine-Screening von Patienten mit einem hohen Risiko für MRSA-Besiedlung den Kontakt zur landwirtschaftlichen Tiermast auf – nachzulesen in der Deutschen Medizinischen Wochenschrift vom 28. März 2014!

Noch problematischer sind sogenannte ESBL-Darmkeime, die gegen eine Vielzahl von Antibiotikagruppen resistent sind. Bereits mehr als 6 Millionen Deutsche tragen diese Keime in sich, die ihre Resistenzinformation auch an andere Darmkeime übergeben können. Solange Menschen gesund und immunkompetent sind, werden sie damit fertig. Lebensgefährlich wird es, wenn abwehrgeschwächte Menschen – Krebspatienten, Diabetiker, Frühchen oder Transplantierte – von ihnen befallen werden.

Es wird von der Wissenschaft nicht mehr infrage gestellt, dass der breite Einsatz von Antibiotika in der industriellen Tiermast für die Verbreitung von Resistenzen bei Mensch und Tier gerade durch die beschriebenen Haut- und Darmkeime eine entscheidende Rolle spielt.

Besonders gravierend ist die Situation in der Geflügelmast: durch die unnatürliche Aufzucht in Massentierhaltung auf engstem Raum mit permanentem Stress sind die Tiere extrem infektionsanfällig. 92-96% aller Masthähnchen erhalten in ihrem kurzen Leben von nur gut einem Monat mehrmals Antibiotika. Bei der Größe der Bestände und der qualvollen Enge ist eine Einzelbehandlung kranker Tiere überhaupt nicht mehr möglich. 2006 wurde die prophylaktische Verfütterung von Antibiotika in Deutschland verboten. Trotzdem ist der Verbrauch in der Tiermast nicht zurückgegangen, sondern weiter angestiegen. Denn unsere industrielle Fleischproduktion ist ohne Antibiotikagaben gar nicht durchführbar. Das Preisdiktat der Supermärkte zwingt zu einer immer weiter gehenden Rationalisierung auf Kosten des Tierwohls. Die industrielle Tierproduktion bringt nicht nur unerträgliches Tierleid mit sich, die immensen Folgekosten durch Resistenzbildung und Umweltzerstörung tragen wir alle. Dieser Weg führt in die Sackgasse. Es geht auch anders, wie ökologisch-bäuerliche Betriebe zeigen. Oder – wie es Renate Künast formulierte –„Das System ist krank, nicht das Tier.“

Der äußerst dürftige Entwurf der Arzneimittelgesetznovelle der ehemals schwarz-gelben Bundesregierung wurde im Vermittlungsausschuss zwar deutlich verbessert, grundsätzliche Verbesserungen der Haltungsbedingungen im Sinne des Tierwohls wurden aber leider nicht erreicht. Trotzdem wird mit dieser Novelle ein erster wichtiger Schritt zur Erfassung des ausufernden Antibiotikaeinsatzes gegangen. Es muss nicht mehr nur angezeigt werden, dass eine Antibiotika-Anwendung stattgefunden hat, sondern auch, wie viele Tiere wie oft mit welcher Substanz und Menge behandelt wurden.

Bei überdurchschnittlich hohem Antibiotikaverbrauch müssen Tierhalter gemeinsam mit dem Tierarzt Maßnahmen zur Reduktion vorzunehmen, bei stark erhöhten Verabreichungen müssen schriftliche Maßnahmenpläne zur Verringerung des Antibiotikaeinsatzes bei der zuständigen Behörde eingereicht werden. Die Veterinärämter können nach Vorlage der Maßnahmenpläne weitere Maßnahmen z.B. zur Besatzdichte anordnen und, wenn diese nicht befolgt werden, ein Verbot der Tierhaltung für eine Dauer bis zu drei Jahren aussprechen.

Bisher fehlen den Tierhaltern, Ärzten und Veterinärämtern aber konkrete Vorgaben zur Umsetzung der neuen Regelungen des Arzneimittelgesetzes. Der Bundesverband praktizierender Tierärzte e.V. kritisiert, dass die in die Verantwortung der Länder fallende Datenbank zur Erfassung der Antibiotikavergaben immer noch nicht funktionsfähig ist. Obwohl das Gesetz bereits in Kraft getreten ist und einen längeren Vorlauf hatte sind auch rechtliche Fragen immer noch nicht abschließend geklärt.

Wir erwarten deshalb von der Landesregierung, dass sie schnellstmöglich die Umsetzung des novellierten Arzneimittelgesetzes voranbringt und die betroffenen Akteure umfassend und zeitnah informiert. Eine zentrale Plattform auf der Homepage des Umwelt- und Verbraucherschutzministeriums mit allen relevanten Informationen sehen wir deshalb als eine Mindestmaßnahme an. Das neue AMG kann aber nur ein erster Schritt sei! Ob der Antibiotikaeinsatz wirklich sinkt bleibt anzuwarten. Hierfür bedarf es wohl einer kompletten Trendwende hin zu einer artgerechten Haltung, die in unseren Ställen eher die Ausnahme, denn die Regel ist. Wir zwängen die Tiere in unser Produktionsschema, anstatt uns nach ihren Bedürfnissen zu richten. Die aktuell gestartete Volksinitiative gegen Massentierhaltung zeigt uns, dass es den Leuten nicht egal ist, was auf ihren Teller kommt. Die Initiatoren und Unterzeichnenden fordern ebenfalls eine Reduzierung des Antibiotikaeinsatzes. Ich würde mich freuen, wenn auch Sie im Sinne der Verbraucherinnen und Verbraucher handeln und unserem Entschließungsantrag zustimmen würden.