>> Änderungsantrag zum Haushalt: Frauenhäuser sind auch Kinderhäuser (pdf-Datei)
- Es gilt das gesprochene Wort!
Anrede!
Obwohl alle Brandenburgerinnen und Brandenburger im selben Bundesland leben, macht es schon Unterschiede, ob man in Frankfurt/Oder, in Potsdam oder in der Prignitz lebt. Ob man als geflüchteter Mensch in einem Landkreis wohnt, der statt auf große Gemeinschaftsunterkünfte auf die Unterbringung in Wohnverbünden gesetzt hat und die elektronische Gesundheitskarte bereits eingeführt hat. Ob man als Alleinerziehende im Einzelhandel arbeitet und demnächst statt frei zu haben sonntags öfter mal arbeiten gehen muss. Ob ich als Elternteil in einer Regenbogenfamilie bis nach Berlin fahren muss, um mich beraten zu lassen, oder ob ich einfach in die Familienberatung in meiner Kommune gehen kann. Ob ich als transidenter junger Mensch zur Schule gehe oder als heteronormativer Mensch.
Die verschiedenen Beispiele zeigen: Wenn es um Gerechtigkeit geht, gibt es keine einfachen Antworten. Und sicher führt nicht nur ein Weg zu mehr Gerechtigkeit. Was ich aber sagen kann ist, was auf dem bündnisgrünen Weg liegt:
- Teilhabegerechtigkeit
- Generationengerechtigkeit
- Geschlechtergerechtigkeit
- und Internationale Gerechtigkeit.
Ich werde versuchen, anhand dieser Parameter – außer der internationalen Gerechtigkeit, die fällt in andere Zuständigkeit – den Haushaltsplan 07 zu beurteilen.
Zur Teilhabegerechtigkeit: Das Recht auf Teilhabe ist – zumindest theoretisch – für die meisten von uns Konsens. In der Praxis läuft dieses Recht aber für viele Menschen einfach ins Leere. Nämlich, wenn sie schlicht keinen Zugang zu öffentlichen Einrichtungen oder Angeboten haben, die ihnen eine soziale oder kulturelle Teilhabe überhaupt erst ermöglichen würden. Das trifft besonders auf arme und benachteiligte Menschen zu. Sie sind zum Beispiel häufiger als andere krank. Das Risiko, chronisch krank zu sein, hängt auffällig mit der sozioökonomischen Situation eines Menschen zusammen. Hinzu kommt, dass Regelangebote der Gesundheitsversorgung ebendiese Menschen oft nicht erreichen. Der Öffentliche Gesundheitsdienst bildet für ärmere Menschen einen wichtigen, oft den einzigen, Zugangspunkt zur Gesundheitsversorgung. Für uns Bündnisgrüne war das einer der Gründe, warum wir einen handlungsfähigen öffentlichen Gesundheitsdienst in den Kommunen gefordert haben. Teilhabegerechtigkeit. Nach unserem gemeinsamen Antrag mit der CDU-Fraktion sind die Koalitionsfraktionen hier ans Arbeiten gegangen. Das Ergebnis ihrer Arbeit ist erfreulich: Das Land soll der Akademie für das öffentliche Gesundheitswesen beitreten und wird so das gute Qualitätsniveau der Beschäftigten im Öffentlichen Gesundheitsdienst besser als bisher sichern können.
Zu den öffentlichen Einrichtungen, die aus unserer Sicht auch gestärkt gehören, zählen die Suchtberatungsstellen im Land, denn Teilhabegerechtigkeit schließt auch suchtkranke Menschen ein. Die Zahlen sprechen für sich: Ein Viertel aller erwachsenen Brandenburger*innen konsumiert Alkohol in riskanten Mengen und immer noch rauchen 20% der Erwachsenen täglich Zigaretten. Die gesundheitlichen Folgen durch Alkohol- und Tabakkonsum sind schwer. Zusätzlich zu diesen dominierenden Drogen zeigen sich jetzt vor allem im Südosten Brandenburgs Auswirkungen des Crystal Meth Konsums, der zu gravierenden gesundheitlichen Schäden führt. Wir halten dennoch die Intention des Haushaltsantrags der Koalitionsfraktionen für falsch. Mit diesem soll lediglich ein Ausbau der Suchtberatung im Süden und Südosten des Landes befördert werden. Damit ist aber erstens den alkoholabhängigen Menschen überall anders im Land nicht geholfen. Teilhabegerechtigkeit sieht anders aus! Zweitens verschleiern die Koalitionsfraktionen damit auch die Tatsache, dass die Suchtberatungsstellen seit mindestens acht Jahren exakt dieselbe Fördersumme erhalten. Wie diese damit zum Beispiel Tarifsteigerungen refinanzieren sollen, bleibt ein ungelöstes Rätsel! Wir hatten deswegen gefordert, alle Suchtberatungsstellen besser zu finanzieren.
Auch bei den geflüchteten Menschen, die ihr Leben im Land neu beginnen wollen, müssen wir über Teilhabechancen sprechen. Wir finden, so wie die Landesregierung auch, dass wir diese Menschen durch eine qualitativ hochwertige sozialpädagogische Arbeit gut unterstützen können. Sozialarbeiter*innen sind oft die ersten Ansprechpartner*innen der Geflüchteten. Viel zu lange sah es jedoch danach aus, als bliebe das MASGF hier ein Ankündigungsministerium. Viel zu lange, ja, bis heute, hat der Widerstand aus den Kreisen und kreisfreien Städten bewirkt, dass die verbesserte sozialarbeiterische Versorgung wirklich umgesetzt werden konnte. Ein ähnliches Szenario wie bei der Gesundheitskarte für Flüchtlinge. Trotz Ankündigung des Ministeriums, diese werde zum 1. Juli flächendeckend eingeführt, gibt es noch immer zahlreiche Landkreise, in denen kranken Flüchtlingen der Gang zum Sozialamt vor dem Arztbesuch nicht erspart bleibt. Das zeigt: Landesregierung und kommunale Ebene müssen bei diesen Fragen viel besser miteinander ins Gespräch kommen. Unstimmigkeiten dürfen nicht auf dem Rücken der Geflüchteten ausgetragen werden. Die Kuh vom Eis hinsichtlich der psychosozialen und medizinischen Versorgung hat das MASGF damit aber nicht. Für uns bleibt zum Beispiel weiterhin die Frage offen, was mit der einzigen Behandlungsstelle für traumatisierte Flüchtlinge in Fürstenwalde geschehen soll. Die Mitarbeiterinnen verfügen über langjährige Erfahrungen in der Therapie besonders schutzbedürftiger Flüchtlinge. Wir wollen eine Bestandsgarantie, um diese hochspezialisierten Fachkompetenz zu erhalten. Unser Antrag hierzu, mit 150 000 Euro vergleichsweise bescheiden, wurde aber abgelehnt.
Nicht nur beim Umgang mit geflüchteten Menschen, sondern überall gilt: Wo Menschen in Kontakt sind, miteinander reden oder sich miteinander für etwas einsetzen, gibt es weniger Vorurteile. So auch bei unserem Umgang mit allen nicht-heteronormativen Menschen, die bei uns im Land leben. Wir freuen uns, dass wir hier im Landtag gemeinsam mit rot-rot einen Aktions- und Maßnahmeplan erwirkt haben, gegen Homo- und Transfeindlichkeit, für mehr Vielfalt und Akzeptanz, für eine lebendige, bunte und aufgeschlossene Brandenburger Gesellschaft. Wir sagen damit deutlich: Hass und Hetze gegenüber Minderheiten haben keinen Platz in unserer demokratischen Gesellschaft! Hinsichtlich der finanziellen Unterfütterung dieses Antrags gingen unsere Vorstellungen in eine andere Richtung. Uns lag am Herzen, relativ schnell ein klares Ja! zu Regenbogenfamilien auszusprechen. Wir wollten in Kooperation mit dem Angebot des Lesben- und Schwulenverbands in Berlin auch im Land Brandenburg zeitnah eine Beratungsstelle für Regenbogenfamilien anbieten. Das wurde leider angelehnt (pdf-Datei). Zwar ist im Antrag der Koalitionsfraktionen auch ein solches Beratungsangebot vorgesehen. Wir befürchten aber, dass das Angebot erst nach der Erstellung des Gesamtkonzeptes kommen wird. Das dauert noch lange. Und auch hinsichtlich der von rot-rot eingeplanten Summe für dieses Konzept gibt es gerade einigen Wirbel. Verbände kritisieren, die Landesregierung würde mit 130.000 Euro zu viel Geld für die Erstellung des Konzeptes ausgeben wollen. Geld, das an anderer Stelle besser genutzt werden könne, um die Lebensqualität nicht-heteronormativer Menschen unmittelbarer verbessern zu können. Unser Vorschlag lautet: Schauen wir doch einmal, wie so oft bei Fragen zur offenen Gesellschaft, auf das Nachbarland Berlin. Den dort umgesetzten und hochgelobten Aktions- und Maßnahmeplan hat Klaus Lederer, mittlerweile Senator von der Linken, entwickelt. Vielleicht hat das MASGF ja einen guten Draht zu ihren Kolleg*innen in Berlin und erhält das Konzept zur Überlassung? Große Teile der geplanten 130.000 Euro könnten dank der gegenseitigen Deckungsmöglichkeit damit direkt in die Projekte für LSBTTI*-Menschen gesteckt werden.
Ich komme jetzt zum Aspekt der Geschlechtergerechtigkeit: Vor 30 Jahren haben wir GRÜNEN die Frauenquote von 50% beschlossen und damit einen Meilenstein in der Gleichstellungspolitik gesetzt. Mit dem Aufstieg der AfD auch in Brandenburg müssen wir aber jetzt immer häufiger heftige Reaktionen des neurechten Milieus gegen den sogenannten „Genderwahn“, gegen die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen und Mädchen in unserer Gesellschaft erleben. Frauen in Führungspositionen werden als „Quotenfrauen“ verächtlich gemacht, während Männer ihre Positionen selbstverständlich aus Qualitätsgründen innehaben. Es wird ein traditionelles Familienbild mit der Ernährerrolle des Mannes nach dem Vorbild der fünfziger Jahre der alten Bundesrepublik propagiert, welches gerade in Brandenburg den Erfahrungen der Frauen mit jahrzehntelangem selbstverständlichen Zugang zu Arbeit und Kinderbetreuung zuwiderläuft. Durch die Forderung nach Steigerung der „Geburtenrate der einheimischen Bevölkerung“ und „Mehr Kinder statt Masseneinwanderung“ werden antiemanzipatorische und rassistische Ressentiments verschränkt. Wir begrüßen deshalb das „Gleichstellungspolitisches Rahmenprogramm für das Land Brandenburg“. Ebenso begrüßen wir die dafür eingeplanten Mittel im Haushaltsentwurf. Denn: Brandenburg steht zwar in vielen Bereichen der Gendergerechtigkeit im Bundesvergleich nicht schlecht dar. So ist die Erwerbsbeteiligungsquote mit 73% hoch und die geschlechtsspezifische Lohnungleichheit („gender pay-gap“) mit 6% niedrig. Jetzt kommen allerdings die großen Aber: Unter den Teilzeitbeschäftigten sind drei Viertel Frauen, viele unfreiwillig, weil sie gerne mehr arbeiten würden. In Brandenburg legen mittlerweile 46% der Mädchen gegenüber 35% der Jungen das Abitur ab. Aber: an den Hochschulen sind nur 23% der Professuren weiblich besetzt. Mädchen haben eine im Schnitt bessere Schulbildung. Aber: Weiterhin fast die Hälfte der Mädchen entscheidet sich nur für 10 Ausbildungsberufe, darunter viele stereotype „Frauenberufe“ mit schlechter Bezahlung und geringen Aufstiegschancen.
Und auch das große gesellschaftliche Problem der Gewalt gegen Frauen muss bei Geschlechtergerechtigkeit angesprochen werden. Hier im Land Brandenburg werden täglich Frauen geschlagen, vergewaltigt, sexuell belästigt, gedemütigt, gestalkt. Was wir angesichts dieser unglaublichen Tatsache brauchen, ist unter anderem ein bestmöglicher Opferschutz. Die 21 Frauenhäuser öffnen ihre Türen für Frauen, die Unterstützung benötigen. Sehr oft haben diese Frauen Kinder. Und natürlich bringen sie ihre Kinder mit in die Frauenhäuser, anstatt sie in der Umgebung zurückzulassen, in der sie Gewalt erfahren haben. Den Frauenhäusern fehlt es jedoch an Geld für eine wirklich gute und ausreichende Kinderbetreuung. Wir sagen deshalb: Frauenhäuser sind auch Kinderhäuser! Jedes Frauenhaus soll Geld für eine fachlich gut ausgebildete Mitarbeiter*in zur Betreuung der Kinder erhalten. Auch wenn wir uns mit diesem Antrag nicht durchsetzen konnten, haben wir den Eindruck, die Koalitionsfraktionen und die Landesregierung haben dieses Problem auch erkannt. Wir hoffen, dass hier bald dem Einsehen das Einstellen der Mittel folgen wird.
Last but not least zur Generationengerechtigkeit: Da treibt uns Bündnisgrüne sehr das Thema Pflege um. Mit vielem, was das MASGF hier macht, sind wir sehr zufrieden. Da sei die Pflegeoffensive genannt, und auch die Fachstellen Altern und Pflege im Quartier (FAPIQ). Auch der Ansatz, die Ausbildung in der Altenpflegehilfe zu fördern, ist lobenswert. Trotzdem: Der Handlungsbedarf in der Pflege bleibt weiterhin riesig! Die Liste der Gründe ist lang, und die Punkte, die ich nenne, sind nur einige darauf:
- die Pflegeprävalenz ist bundesweit am höchsten
- der prognostizierte Fachkräftemangel ebenso
- es bestehen regional erhebliche Unterschiede in der Versorgung
- die Umsetzung des kommenden Pflegestärkungsgesetz III
- die Auswirkungen des angekündigten Pflegeberufegesetzes.
Und an einer Stelle müssen wir das MASGF hart kritisieren. Es verschlampt, bewusst oder unbewusst, das ist uns nicht ganz klar, die seit langem angekündigte Befragung zur Pflegekammer. Die Mittel dafür waren bereits in den Haushaltplan 2015/16 eingestellt! Wir Bündnisgrüne finden, dass die Arbeit der Pflegekräfte quasi das Rückgrat unseres Gesundheitswesens bildet. Ein derart nachlässiger Umgang mit der Meinungsbildung und -äußerung innerhalb dieser Berufsgruppe ist schlicht inakzeptabel! Bei allem, was in der Pflege in den nächsten Jahren zu tun ist, hätte dieser Punkt längst abgearbeitet werden müssen.
Wie ich anfangs sagte: Es gibt keinen einzigen Weg zu mehr Gerechtigkeit. Und ganz sicher teilen wir Bündnisgrüne ganz viele Ziele, die durch den Einzelplan 07 abgebildet werden. Aber uns reicht die Umverteilung mit der Gießkanne nicht. Wir wollen Verteilungsgerechtigkeit zusammengedacht mit Teilhabegerechtigkeit, Generationengerechtigkeit und Geschlechtergerechtigkeit. Diese Kombination sehen wir im Einzelplan 07 nicht deutlich genug. Deswegen stimmen wir mit nein.
>> Änderungsantrag zum Haushalt: Frauenhäuser sind auch Kinderhäuser (pdf-Datei)
Unsere Änderungsanträge wurden abgelehnt.