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Ursula Nonnemacher zum Bericht der Landesregierung „Bericht zum Stand des Diabetes mellitus in Brandenburg gemäß Landtagsbeschluss vom 28. Juni 2017“

- Es gilt das gesprochene Wort!

Anrede!

Es gibt Krankheiten, die sind die manifest gewordenen Folgen sozialer Ungerechtigkeit. Diabetes-Typ-II gehört definitiv mit dazu. Wenn wir es ernst meinen damit, das Auseinanderdriften der Gesellschaft verhindern zu wollen, müssen wir unser Augenmerk unbedingt auch auf die Verteilung von gesundheitlichen Chancen legen: Es kann uns nicht egal sein, dass ausgerechnet die mit niedrigem Sozialstatus assoziierten Gesundheitslagen im Land Brandenburg besonders stark ausgeprägt sind!

Der Bericht benennt deutlich die Sozialstruktur einer Region als eigenständigen Risikofaktor für die Auftretenshäufigkeit von Diabetes-Typ-II. Das ist keine neue Erkenntnis. Ich hatte hierzu bereits in meiner Rede im Juni 2017 den folgenden Vergleich gebracht: Während in Hamburg-Blankenese das Diabetesrisiko bei nur 3,8 Prozent liegt, erkranken in der Prignitz 14,1 Prozent der Menschen im Laufe ihres Lebens daran. Aber auch im restlichen Land Brandenburg ist das Diabetesrisiko mit 11,3 Prozent im Vergleich zum bundesweiten Durchschnitt von 9,2 Prozent deutlich erhöht. Besonders verheerend ist, dass sich das Diabetesrisiko in einer ungünstigen Vergesellschaftung mit anderen verhaltensbezogenen und potentiell lebensverkürzenden Risikofaktoren befindet. Dazu zählen das Adipositasrisiko - namentlich aufgrund fehlender Bewegung und falscher Ernährung - sowie Rauchen. Was wir angesichts dieser Befundlage jedoch ausdrücklich nicht brauchen, ist ein moralisch erhobener Zeigfinger. Viel eher ist die hohe bevölkerungsmedizinische Relevanz ein deutlicher Auftrag an uns, endlich die Gesundheitschancen armer Menschen zu verbessern! Nun müssen mit Nachdruck Strategien für Prävention und Früherkennung vorangetrieben werden. Ich möchte aber darauf aufmerksam machen, dass wir bereits seit dem Jahr 2003 durch große Studien wissen, was in diesem Bereich machbar ist. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler weisen unter dem Motto „Lebensstil als Medizin“ darauf hin, dass 90% der Erkrankungsfälle beim Typ-II-Diabetes verhütet werden könnten. Vor diesem Hintergrund kritisieren wir viele Entscheidungen auf Bundesebene. Dazu gehören die beschlossenen Änderungen beim gesundheitlichen Check-Up für Über 35-Jährige, der zukünftig nur noch alle drei Jahre in Anspruch genommen werden darf und noch dazu keine regulären Blut- und Urinuntersuchungen mehr zur Aufdeckung eines Diabetes beinhalten soll. Geradezu fahrlässig ist aus unserer Sicht angesichts der Trias Armut, Adipositas und Diabetes die gezielte Verschleppung der Einführung einer Nährwertkennzeichung - oder Lebensmittelampel - durch Bundesministerin Klöckner.

Aber auch auf Landesebene können wir mehr tun. Die Landesregierung nennt als eine Maßnahme die Diabetesprävention über das Bündnis Gesund Älter werden. Das ist richtig und sinnvoll. Sie vergisst jedoch: Angesichts der im Bericht aufgezeigten deutlichen Verschlechterung des Diabetes bei hinzukommender Demenz gehört das Thema unbedingt auch in das Kompetenzzentrum Demenz!

Ein besonders bedrückender Befund ist zudem die steigende Zahl von Kindern, die unter Adipositas leiden. Auch hier sind besonders häufig arme Kinder betroffen, mit allen negativen gesundheitlichen Folgen für den Rest ihres Lebens. Im Bündnis Gesund Aufwachsen findet sich bisher aber viel zu wenig zur Diabetesprävention! Dabei müssen wir bei den Kindern anfangen: in höherem Lebensalter sind Lebensstiländerungen viel schwieriger umzusetzen.

Die Einflussnahme der Landesregierung auf den ambulanten Sektor hinsichtlich der Ausweitung der Teilnahme an strukturierten Behandlungsprogrammen – DMP – ist sicher sinnvoll. Und die Digitalisierung bietet für die lebensstilbezogene Prävention, das Selbstmanagement und die Überwachung relevanter Parameter in der Behandlung des Diabetes ein erhebliches Potenzial. Unambitioniert zeigt sich die Landesregierung jedoch mit ihrer Digitalisierungsstrategie bisher. Der Aspekt Gesundheit als eigenes Handlungsfeld kommt darin gar nicht vor. Das ist ein Fehler, der korrigiert werden muss!

Es ist eine Frage der Gerechtigkeit, Maßnahmen zu ergreifen, wenn bestimmte Bevölkerungsgruppen ein risikobehaftetes Gesundheitsverhalten zeigen. In dem wichtigen Lebensaspekt der Gesundheit müssen wir ein weiteres Auseinanderdriften der Gesellschaft verhindern!