- Es gilt das gesprochene Wort!
Anrede!
Ungefähr 370 Tausend Menschen in Brandenburg haben eine Behinderung. Jede und jeder einzelne diese 370 Tausend Menschen ist so unterschiedlich in ihren und seinen Fähigkeiten, Einschränkungen, Wünschen, Vorstellungen und Problemen wie jeder und jede Einzelne von uns in diesem Raum. Aber im Unterschied zu den meisten von uns erfahren Menschen mit Behinderung immer wieder, dass sie ihre Fähigkeiten nicht einfach in Vereine, am Arbeitsplatz oder in der Regelschule einbringen können. Viele von ihnen teilen die Erfahrung, dass sie besonders unterstützt werden müssen, zum Beispiel um ihr Wunschfach studieren zu können und dabei vielleicht sogar noch in einer ganz normalen Studentinnen-WG in einem Altbau zu wohnen. Und viele teilen die Erfahrung, dass sie oft lange nicht die Unterstützung bekommen, die sie für ein selbstbestimmtes Leben bräuchten.
Die Landesregierung möchte mit der Erhöhung des Landespflegegeldes einen kleinen Teil der Menschen mit Behinderung dabei unterstützen, (Zitat) „ein selbstständiges und selbstbestimmtes Leben zu führen und am Leben in der Gemeinschaft teilzuhaben“. Für dieses Ziel – Teilhabe – ist die Wahl des Begriffs Pflegegeld irreführend. Pflege dient dem Erhalt oder der Wiederherstellung körperlicher, geistiger oder seelischer Kräfte der Betroffenen. Pflege ist aber kein Ersatz für die Unterstützung von Teilhabe. Wenn die Landesregierung Menschen mit Behinderung mehr Teilhabe ermöglichen möchte, dann ist nicht nur die Bezeichnung des Gesetzes falsch gewählt, dann hat auch die Anrechnung von Leistungen der Pflegeversicherung des SGB XI hier nichts verloren! So wird es aber gehandhabt, und das finden wir nicht nur unlogisch, sondern auch ungerecht. Meine Fraktion hat sich deswegen mit einem Änderungsantrag im Sozialausschuss für die Streichung dieser Anrechnungsregelung eingesetzt.
Die Landesregierung sieht sich als bundesweite Vorreiterin bei der Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention, in der vor allem auch das Recht auf eine unabhängige Lebensführung gefordert wird. Zu einer unabhängigen Lebensführung gehört unbedingt die freie Wahl des Wohnortes und der Wohnform. Auch im Behindertenpolitische Maßnahmenpaket des Landes steht, dass bei der Wahl der Wohnform „das Wunsch- und Wahlrecht, die Interessen und Bedürfnisse der Menschen im Vordergrund“ stehen sollen.
Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf werden Menschen, die in Anstalten, Heimen und gleichartigen Einrichtungen leben, vom Anspruch auf Landespflegegeld ausgeschlossen. Wir finden auch diese Regelung unlogisch und unfair. Anstalten, Heime und Einrichtungen sind doch keine genuinen Leistungen zur Teilhabe am gesellschaftlichen Leben. Die Gründe dafür, dass Menschen mit Behinderung in einer Einrichtung leben, sind mit Sicherheit vielfältig. Ärgerlich ist es, dass für die betroffenen Menschen zu oft einfach die Infrastruktur für selbstbestimmtes Wohnen fehlt. Sie werden dann doppelt gestraft, zum ersten mit fehlender Wahlfreiheit des Wohnorts, und zum zweiten mit einem völligen Ausschluss von Leistungen aus dem Landespflegegeld, das ja eigentlich ein Landesteilhabegeld ist. Leider erklärt die Landesregierung diesen augenfälligen Widerspruch zu den Zielen der UN-Konvention sowie zu ihrem eigenen Behindertenpolitischen Maßnahmenpaket nicht.
Wir Bündnisgrüne haben uns mit unserem Änderungsantrag ebenfalls dafür ausgesprochen, dass höchstens die Hälfte des Landespflegegeldes für Menschen gekürzt wird, die in Heimen leben. Leider konnten wir uns mit dem Änderungsantrag im Ausschuss nicht durchsetzen. Wir wurden vertröstet mit der Aussicht auf das neue Bundesteilhabegesetz. Aber dieses Gesetz schiebt die Bundesregierung seit Jahren auf die lange Bank. Mit der Taktik des Abwartens vertut die Landesregierung eine Chance und bleibt hinter der behindertenpolitischen Vorreiterrolle zurück, die sie sich selbst gerne attestiert. Das können – zumindest was das Landespflegegeld angeht – andere Länder besser!
Die beabsichtigte Erhöhung des Landespflegegeldes ist trotzdem richtig und zudem längst überfällig, weshalb wir uns trotz der erwähnten Unzulänglichkeiten enthalten werden.