- Es gilt das gesprochene Wort !
Anrede!
Wir haben in der aktuellen Stunde im April zur Gesundheitsversorgung ausführlich über das Grundproblem gesprochen: in strukturschwachen ländlichen Gebieten und in den sozialen Brennpunkten städtischen Ballungsräumen bestehen oder drohen ärztliche Unterversorgung. Von einem generellen Ärztemangel kann überhaupt nicht die Rede sein: die Zahl der Vertragsärzte ist kontinuierlich und stark gestiegen auf zuletzt 141.500 in 2010. In 89% aller Planungsbezirke besteht z.T. erhebliche Überversorgung. Auch wenn das Wort Ärztemangel immer wieder gebetsmühlenartig wiederholt wird: wir haben in Deutschland keinen Ärztemangel, sondern eine ausgeprägte Fehlverteilung von Ärzten zum Nachteil von demografischen und sozialen Problemregionen. Diese Fehlverteilung zu korrigieren, d.h. konsequente und mutige Lösungen für den Abbau von Überversorgung und wirksame Anreize zur Niederlassung in einem unterversorgten oder gefährdeten Gebiet zu schaffen, wäre eine wichtige Aufgabe des Versorgungsstrukturgesetzes gewesen.
Aber Gesundheitsversorgung besteht nicht nur aus Ärztezahlen, sie geht viel weiter.
Seit Jahren warten wir auf eine Pflegereform, auf Gesetze zur Prävention und Gesundheitsförderung und auf eine Stärkung der Primärversorgung. Wir brauchen eine bessere Verzahnung des stationären und ambulanten Bereichs und eine verstärkte Zusammenarbeit zwischen den Gesundheitsberufen. Patientinnen und Patienten mit ihren Bedürfnissen und Bedarfen müssen im Focus eines Versorgungsgesetzes stehen! Sektor- und professionsübergreifende Versorgungsstrukturen können die Qualität der Versorgung für die Bevölkerung gerade in Problemregionen verbessern.
Wird nun das GKV-Versorgungsstrukturgesetz diesen Anforderungen gerecht? Nein, wird es nicht! Von der Idee der Patientenzentriertheit hat man sich schnell verabschiedet. Ursprünglich sollte der Untertitel lautet: „Das Angebot vom Bedarf des Patienten her gestalten." Statt dessen lesen wir jetzt: „Leitidee unserer Überlegungen und Vorschläge ist die Verbesserung bzw. der Erhalt der freiheitlichen Ausübung des Arztberufes und der Diagnose- und Therapiefreiheit" (Zitatende) Alles klar? Noch Fragen? Wem jetzt die Vokabel „Klientelpolitik" in den Sinn kommt, der liegt richtig.
Ein Kollege von mir hat den Gesetzentwurf mal als „Ärztebeglückungsgesetz" bezeichnet, die leitenden Krankenhausärzte Deutschlands sprechen von einem „Versorgungsgesetz für Vertragsärzte". Ihnen werden weitere Honorarsteigerungen in Aussicht gestellt, von denen nur ein kleiner Teil bei den Landärzten selber ankommt. Nach massiven Honorarsteigerungen von 2007 bis 2010 um 4,7 Milliarden Euro oder 17% gibt es jetzt unter dem Deckmäntelchen der „Landarztförderung" erneut einen kräftigen Schluck aus der Pulle. Die Unterversorgung auf dem Lande soll zu Lasten der GKV Versicherten finanziert werden, ohne dass eine Gegenfinanzierung durch konsequenten Abbau der Überversorgung erfolgt. Die Honorarmittel für Ärzte steigen ohne spezielle Steuerungswirkung für alle, egal ob sie in unter- oder überversorgten Gebieten praktizieren.
Für die Förderung der Landärzte stellt das Gesetz etwa 100 Millionen Euro in Aussicht, das geht in Ordnung. Über die Idee, dies könne durch erhebliche Einsparungen bei der stationären Versorgung gegenfinanziert werden, darf laut und herzlich gelacht werden. Die Kassen rechnen mit Kostenrisiken von etwa 600 Millionen Euro in 2012 und bis zu zwei Milliarden ab 2013. Dabei werden besonders die ambulante spezialärztliche Versorgung und die unsinnige Methodenbewertung durch den Gemeinsamen Bundesausschuss als Preistreiber befürchtet. Für die Mehrkosten dürfen die gesetzlich Versicherten aufkommen.
Aus grüner Sicht ist dieser Gesetzentwurf nur durch eine grundlegende Neuorientierung an den Interessen der Patientinnen und nicht an den wirtschaftlichen Interessen einiger Leistungserbringer zu retten. Der Antrag der Koalitionsfraktionen nennt einige der wichtigsten Punkte mit Nachbesserungsbedarf und wird von uns voll unterstützt.
Merke: Die Versorgung der Bevölkerung wird dieses Gesetzentwurf nicht nachhaltig verbessern. Wer aber den Bock zum Gärtner machen will, der überlässt der Klientelpartei FDP das Gesundheitsministerium.