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Ursula Nonnemacher spricht zum Antrag zur Teilnahme an Vorsorgeuntersuchungen

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Es gilt das gesprochene Wort !

Anrede!

Nein, liebe Kolleginnen und Kollegen der CDU, mit diesem Antrag können wir uns überhaupt nicht anfreunden und wir wollen auch keinen Modellversuch zu etwas, was wir im Ansatz für falsch halten.

Zuvorderst halten wir Sanktionen für problematisch und ungeeignet, unser aller Anliegen, nämlich die Förderung von Kindergesundheit und Kinderschutz, zu verbessern. Auch wenn wir die Teilnahme aller Kinder an allen Früherkennungsuntersuchungen für richtig halten und auch ein Einlade- und Rückmeldewesen befürworten, so stehen doch zielgruppenorientierte Hilfsangebote und vertrauensbasierte aufsuchende Maßnahmen im Vordergrund grüner Politik. Wir setzen bei der Kindergesundheit und beim Kinderschutz auf Primärprävention und Frühe Hilfen. Problemfamilien für die Nichtteilnahme an den U-Untersuchungen durch Entzug des Familienpasses oder durch Streichung von Familienferien zu bestrafen, trifft doch vor allem wieder die Kinder, denen wir doch helfen wollen! Die Kindergesundheit fördert es sicher nicht!

Nach den Sanktionen gilt es die Teilnahmequote zu betrachten. Letzten Monat haben wir über die „Evaluation bestehender Instrumente und Vorschriften zur Kindergesundheit und zum Kinderschutz gesprochen". Wie schwierig eine Evaluation in diesem Bereich ist, hat der Bericht selbst verdeutlicht. Klar ist, dass die Teilnahmerate an Früherkennungsunter-suchungen als alleiniger Indikator hinsichtlich der Gesundheit der Kinder wenig Aussagekraft hat. Ob unser Einlade- und Rückmeldewesen – wie wir alle hoffen – durch Steigerung der Teilnahmerate einen positiven Effekt auf unsere Zielgröße, die Kindergesundheit, hat, ist noch unklar. Dazu sollen die Schuleingangsuntersuchungen 2014 abgewartet werden. Ob die – sicherlich erwünschte – Teilnahme an den Früherkennungsuntersuchungen in der heutigen Form ein wirksames Instrument des Kinderschutzes darstellt, ist unter Experten umstritten. Abgesehen davon, dass wir Sanktionen grundsätzlich als problematisch ansehen, macht es wenig Sinn Sanktionen zu erproben, wenn wir nicht wissen, ob die sanktionierte Verhaltensänderung wirksam ist.

Damit kommen wir zu einem dritten Problemkreis: Die sogenannten Vorsorgeuntersuchungen für Kinder sind 1971 eingeführt worden. Dabei handelt es sich um klassische Früherkennungsuntersuchungen im Sinne einer Sekundärprävention. Kinder- und Jugendärzte in Deutschland fordern mittlerweile eine Reform der „Vorsorgeuntersuchungen vom Kleinkind bis ins Jugendalter" hin zu mehr primärpräventiven Maßnahmen. Klassische Kinderkrankheiten sind auf dem Rückzug, Entwicklungsstörungen und psychosoziale Probleme nehmen dramatisch zu. Wir verzeichnen eine erhebliche Zunahme von Sprachstörungen und motorischen Defiziten, von Übergewicht, manifester Adipositas, Verhaltensauffälligkeiten, Depressionen, Aufmerksamkeitsdefiziten und Angststörungen. Diese Probleme treten – wie auch der große Kindergesundheitssurvey (KiGGS) von 2007 bestätigt - vorwiegend bei Kindern aus Familien mit niedrigem sozioökonomischen Status auf. Vier von fünf Kindern mit Fettsucht stammen aus sozial schwachen Familien, das Risiko für Störungen der emotionalen und kognitiven Entwicklung ist bei diesen Kindern 17 mal höher als bei Kinder aus gebildeten Mittelschichtfamilien. Immer mehr Kindern fehlt es an entscheidenden Entwicklungsimpulsen. Statt mit ihnen zu sprechen und zu spielen werden sie vor dem Fernseher abgelagert, sie werden falsch ernährt, ihr Bewegungsdrang und ihre Sozialkompetenz wird nicht gefördert. Die Zahl erziehungsinkompetenter Familien hat besorgniserregend zugenommen. Wir müssen diese Familien erreichen, bevor die Kinder Störungen entwickeln. In die Kinder- und Jugendmedizin müssen mehr Maßnahmen der Primärprävention eingebaut, die U-Untersuchungen entsprechend erweitert und angepasst werden. Dazu brauchen wir auf Bundesebene endlich ein Präventionsgesetz!

Aber die Medizin allein kann nicht richten, was gesamtgesellschaftliche Aufgabe ist. „Eine gute Kita ist für die Sprachentwicklung eines Kindes besser als ein Logopäde", sagt ein bekannter Kinderarzt. Toben auf dem Spielplatz ist besser als nachsorgende Krankengymnastik. Statt mehr Kindergeld und Ergotherapie müssen wir die Lebensräume unserer Kinder entwicklungsfördernder und gesünder in Kita und Schule gestalten, und niederschwellige Hilfangebote ausbauen.

Damit bin ich wieder bei der CDU! Ihren Antrag zu Familienhebammen fanden wir Klasse, den vorliegenden Antrag lehnen wir ab.