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Ursula Nonnemacher spricht zum Bericht der Landesregierung über die Arbeit des Runden Tisches gegen Kinderarmut

- Es gilt das gesprochene Wort!

Anrede!

Ich habe die ganz große Befürchtung, dass die Arbeit des Runden Tisches gegen Kinderarmut vergeblich gewesen sein könnte. Der erste kohärente Bericht kommt jetzt, 3,5 Jahre nachdem die Sozialministerin das Thema Kinderarmut öffentlich in den Mittelpunkt ihrer Politik gerückt hatte. Handlungsempfehlungen aus den Erkenntnissen der Arbeit des Runden Tisches sollen gar erst im nächsten Sommer folgen, drei Monate vor den Landtagswahlen. Sehr zynische Menschen könnten jetzt anmerken: Die Verweildauer von Kindern in Armut ist empirisch ohnehin nachgewiesen hoch. Welchen Unterschied sollen dann noch fünf Jahre und der Diskontinuität anheimgefallene Handlungsempfehlungen machen? Doch ebenfalls nachgewiesen ist: Die Gefahr der Verstetigung von Armut steigt mit ihrer Dauer.

Natürlich reden sich die Koalitionsfraktionen und die Landesregierung diesbezüglich mit dem Beschluss des Landtags vom Juni letzten Jahres heraus. Das ist eine sehr bequeme Position, kann man so doch vor allem sich selbst suggerieren, dass diese Zeitschiene immerhin mehrheitlich so beschlossen wurde. Es ändert nur gar nichts daran, dass das alles leider viel zu spät kommt.

Beim Lesen des Berichts fühle ich mich eher an ein wissenschaftliches Paper einer universitären Forschungsgruppe erinnert, als an die Arbeit eines Ministeriums. Es ist ja löblich, dass das Sozialministerium erkennt, wie komplex Kinderarmut ist und das Thema gründlich angehen will. Es ist ebenso löblich, zu versuchen, die kommunale Ebene in den Kampf gegen Kinderarmut miteinzubeziehen. Auch die Beteiligung von Kindern und Jugendlichen ist sehr gut. Und die einzelnen Schwerpunkte: „materielle Armut, „soziale Lage und Bildung“ sowie „Gesundheit“ sind gut gewählt. Jetzt kommt allerdings das ganz große Aber: So vieles davon ist bereits seit langem bekannt und schon lange und mehrfach empirisch bestätigt! Warum wollen Sie das jetzt quasi wissenschaftlich nochmal aufarbeiten und das über einen Zeitraum von fünf Jahren? Warum nicht auf Vorhandenes aufbauen, zum Beispiel auf die Erkenntnisse aus der Arbeit der Böll-Stiftung in Zusammenarbeit mit dem Deutschen Kinderhilfswerk, auf die der Bericht auch verweist?

Immerhin wurden seit dem Jahr 2016 jährlich 200.000 Euro für die Förderung von Projekten ausgegeben. Was genau das für Projekte sind, wird aber nicht ausreichend klar. Die Informationen dazu auf der Internetseite des Runden Tisches sind viel zu unergiebig. Auch hierdurch erweckt Ihre Initiative eher den Anschein einer wissenschaftlichen Arbeit, als einer politischen Maßnahme, die gut öffentlich dokumentiert sein will. Noch dazu, wenn sich die Initiative selbst dazu verpflichtet hat, eine partizipative Plattform zu sein, von der aus alle voneinander lernen sollen.

Gut gewählt ist der diesjährige Themenschwerpunkt „Gesundheit“. Die aktuelle Sozial- und Gesundheitsberichterstattung zeigt wieder einmal den traurigen Zusammenhang zwischen Armut und der Häufigkeit medizinischer Befunde. Nun haben wir erneut schwarz auf weiß, dass Kinder mit niedrigem Sozialstatus eine vierfach höhere Häufigkeit starken Übergewichts haben. Da müssen Sie doch endlich handeln! Und was haben Sie in den letzten vier Jahren dagegen unternommen, der Befund ist ja nicht neu? Was gedenken Sie hinsichtlich der Unterversorgung Kinder- und Jugendpsychiatrischer Angebote zu unternehmen, auf die in dem Bericht auch deutlich hingewiesen wird? Wie vehement bringen Sie sich in der Vorbereitung der nächsten ASMK und auch darüber hinaus für die Einführung einer Kindergrundsicherung ein? Das alles wäre viel interessanter und viel wichtiger für arme Kinder, als die x-te Bestätigung der Ursachen und Auswirkungen.

Insgesamt lässt uns der vorliegende Bericht leider sehr ratlos zurück. Er wirkt wie eine perfekt angelegte Arbeit der Klassenbesten, deren Ideen leider trotzdem drohen, an der Realität zu scheitern.