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Rechtsgutachten zum Oderausbau: Vertragsverletzungen beim deutsch-polnischen Abkommen zum Oderausbau und gravierende Mängel beim Hochwasserschutz

Vertragsverletzungen und gravierende Mängel beim Hochwasserschutz: Dies attestiert die Gutachterliche Stellungnahme zum deutsch-polnischen Abkommen über die gemeinsame Verbesserung der Situation an den Wasserstraßen im deutsch-polnischen Grenzgebiet. Auftraggebende für das Rechtsgutachten sind die Brandenburger Landtagsfraktion, die Bundestagsfraktion von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und die Bündnisgrünen Europaabgeordneten Hannah Neumann, Sergey Lagodinsky, Jutta Paulus und Ska Keller.

Spätestens seit der Umweltkatastrophe in der Oder mit dem verheerenden Fischsterben stellte sich die Frage, ob das deutsch-polnische Abkommen zum Oderausbau noch haltbar ist. Trotz des 2022 durch das polnische Oberverwaltungsgericht verhängten Baustopps wird auf polnischer Seite weitergebaut. Weltbank und Entwicklungsbank des Europarats haben deshalb ihre Finanzierung zurückgezogen. EU-Mittel für den Oderausbau hat Polen inzwischen selbst nicht mehr abgerufen. Es steht zudem zu befürchten, dass der Hochwasserschutz sich durch die Baumaßnahmen nicht verbessert, sondern vielmehr verschlechtert. Auf der deutschen Seite bereitet Bundesverkehrsminister Volker Wissing den Ausbau ungebrochen vor. Die Deutungen dessen, was mit dem Abkommen erreicht werden soll, gehen inzwischen weit auseinander: Die polnische PiS hat den Ausbau für die Güterschifffahrt vorangetrieben. Deutschland will nur Schwachstellen beseitigen, sieht keinen Ausbaubedarf und fördert die Renaturierung.

Sahra Damus, MdL für Frankfurt (Oder) und Märkisch Oderland:

"Das Rechtsgutachten hat festgestellt, dass mit dem Ignorieren des Baustopps auf polnischer Seite eine gravierende Vertragsverletzung vorliegt. Die Baumaßnahmen sind damit illegal. Dass dies bisher weder in Polen, noch beim Vertragspartner - dem Bundesverkehrsminister - Konsequenzen nach sich zieht, ist nicht hinzunehmen.

Auch die Auswirkungen auf den Hochwasserschutz sind problematisch. Grund dafür ist, dass man sich auf Winterhochwasser konzentriert hat, Sommerhochwasser aber als Nebensächlichkeit abgetan und kaum untersucht hat. Das Konzept für den Ausbau hat nicht nachgewiesen, dass er den Hochwasserschutz verbessern oder zumindest neutral hält. Dies ist in Deutschland jedoch im Wasserhaushaltgesetz vorgesehen. Kann dieser Nachweis nicht erbracht werden, wäre der Ausbau auch auf deutscher Seite rechtswidrig und damit eine Verletzung des Abkommens. Ich fordere Volker Wissing auf, rechtstaatliche Prinzipien sowohl in Deutschland als auch in Polen ernst zu nehmen und endlich ein Moratorium zu erwirken."

Jan Niclas Gesenhues, umweltpolitischer Sprecher der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN im Bundestag:

"Die mangelhafte Umweltverträglichkeitsprüfung stellt eine glasklare Verletzung des Abkommens dar. Außerdem haben sich die ökologischen Voraussetzungen grundlegend verändert. Denn durch die Umweltkatastrophe 2022 treffen Eingriffe in den Fluss auf ein ohnehin schon stark geschwächtes Ökosystem. Folgerichtig wurde auch der Baustopp vom Warschauer Oberverwaltungsgericht verhängt. Ich erwarte, dass dieses Gerichtsurteil endlich anerkannt und umgesetzt wird! Die Oder muss sich nun dringend erholen. Das muss auch Volker Wissing anerkennen und sich aktiv für einen besseren Schutz der Oder einsetzen. Der Oderausbau durchkreuzt alle Pläne zur Revitalisierung und Wiederherstellung des Naturraums. Bauliche Eingriffe zerstören Rückzugs- und Laichorte und bedrohen den einzigen Auennationalpark Deutschlands."

Hannah Neumann, MdEP, Fraktion Die Grünen/EFA im Europäischen Parlament:

„Beim Containerhafen Swinemünde sehen wir leider ein ganz ähnliches Vorgehen: So wurde der Hafenbau kürzlich in Polen genehmigt, obwohl die grenzüberschreitende Umweltverträglichkeitsprüfung noch läuft. Auch dieses Vorhaben steht in Verbindung zum Oderausbau. Auch hierfür darf es keine EU-Fördermittel geben.

All diese Entwicklungen der letzten Jahre lassen uns zweifeln, dass das deutsch-polnische Abkommen noch in einem gemeinsamen Geiste getragen wird. Die polnische PiS trat in den letzten Jahren offen für eine absolut überdimensionierte Güterschifffahrt mit Staustufen entlang der gesamten Oder ein und der Hochwasserschutz geriet völlig ins Hintertreffen. Ich hoffe, dass wir mit einer neuen Regierung endlich wieder zu einem gemeinsamen Dialog über die Zukunft unseres Grenzflusses zurückkehren!“

Jutta Paulus, MdEP, Fraktion Die Grünen/EFA im Europäischen Parlament:

"Das Gutachten stellt klar: Damit Baumaßnahmen vom deutsch-polnischen Abkommen gedeckt sind, müssen sie nicht nur im Einklang mit nationalem Recht sein, sondern auch mit dem Unionsrecht, das im jeweiligen Land gilt, vor allem der Wasserrahmenrichtlinie. Anderenfalls liegt ein Bruch des deutsch-polnischen Abkommens vor. Daher braucht es eine konsequente und schnelle Umsetzung des EU-Umweltrechts. Nur so hat die Oder eine Perspektive als gesunder und lebenswerter Fluss."

Sergey Lagodinsky, MdEP, Fraktion Die Grünen/EFA im Europäischen Parlament:

"Trotz laufender Widersprüche begannen in Polen bereits die Baumaßnahmen. Damit wurden Tatsachen geschaffen, bevor sich die Betroffenen überhaupt an Gerichte wenden konnten. Das Gutachten zeigt auf, dass wir auch beim Hochwasserrisikomanagement der EU nachsteuern müssen, um sicherzustellen, dass Mitgliedstaaten aufeinander Rücksicht nehmen und nicht Vorhaben umsetzen, die das Hochwasserrisiko erheblich erhöhen. Wir sollten einzelne Schwachstellen für Eisbrecher beseitigen, dafür ist aber kein Komplettausbau der Oder nötig."

Benjamin Raschke, Vorsitzender der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN im Brandenburger Landtag:

"Was folgt aus dem Gutachten? Zunächst braucht es eine Notifikation von Volker Wissing an den polnischen Vertragspartner, dass eine Verletzung des Abkommens vorliegt. Der Bundesverkehrsminister muss dann schnellstmöglich in Gespräche über eine einvernehmliche Änderung nach Art. 16 des Abkommens eintreten. Sollte dies nicht gelingen, muss er den Schlichtungsmechanismus nach Art. 15 nutzen. In jedem Fall kann er weder zuschauen, dass an unserem Grenzfluss Recht gebrochen wird, noch selbst Baumaßnahmen vorbereiten, die im Verdacht stehen, nicht hochwasserneutral zu sein - und damit ebenfalls nicht dem Abkommen genügen würden. Wir müssen nicht zuletzt aufgrund der Umweltkatastrophe im letzten Jahr das Abkommen neu verhandeln. Dazu braucht es im ersten Schritt ein Moratorium. Wir wollen konstruktiv mit unseren polnischen Nachbar*innen an einer gemeinsamen Perspektive auf den Grenzfluss arbeiten."

Das Gutachten kann hier auf Deutsch heruntergeladen werden.

Das Gutachten kann hier auf Polnisch heruntergeladen werden. / Opinię po polsku można pobrać tutaj.

Hintergrund

Das Abkommen wurde 2015 von Verkehrsminister Alexander Dobrindt ohne Beteiligung von Öffentlichkeit und Parlament unterzeichnet. Nun fällt es in Volker Wissings Zuständigkeitsbereich. Das Abkommen ist fast zehn Jahre alt und berücksichtigt die Auswirkungen des Klimawandels nicht. Niedrigwasser und Dürren der letzten Jahre sind nicht einkalkuliert. Die polnische PiS verfolgt inzwischen offen den Ausbau für die Güterschifffahrt und geht damit weit über das deutsch-polnische Abkommen hinaus. In der Debatte um den Oderausbau geht es oftmals allein um Umweltschutzaspekte. Der Oderausbau betrifft jedoch weit mehr: Es geht darum, wie wir Wirtschafts- und Verkehrspolitik und natürlich den Hochwasserschutz verlässlich, klimafreundlich und naturverträglich ausgestalten können.