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Der Ostsee mit Windrädern im Hintergrund Foto: Andi Weiland | andiweiland.de

Gastbeitrag: Gemeinsam durchstarten - Kohleausstieg im Osten meistern!

Der Kohleausstieg ist entscheidend, um die Klimaziele einzuhalten. Er stellt die Weichen für die Wertschöpfung ganzer Regionen, er ist der Rahmen für das Leben vieler Menschen vor Ort, in Zeitz, Cottbus, Spremberg, Weißwasser und vielen anderen Städten und Gemeinden. Gleichzeitig betreffen Klimaschutz und Transformation uns alle, weshalb im Interesse ganz Deutschlands liegt, dass der Kohleausstieg in den betreffenden Regionen gelingt. Im Folgenden wollen wir dafür argumentieren, dass wir den Fokus auf die verbliebenen Kohlereviere in den ostdeutschen Bundesländern lenken, gerade weil die bislang in Brandenburg, Sachsen-Anhalt und Sachsen geplanten Kohlemengen im Verhältnis weit oberhalb einer 1,5°-Projektion liegen. Konkret geht es um das Mitteldeutsche und das Lausitzer Revier. Hier müssen uns zwei Dinge gelingen: ein schneller Ausstieg aus der Förderung der Braunkohle und ein umfassender Strukturwandel, der mit neuer Infrastruktur, Wirtschaftsförderung, Renaturierung und Investitionen in Zukunftstechnologien den Weg in die Zukunft baut. Sowohl Großprojekte wie die Entwicklungen von Intel, Meyer-Burger und New Energies als auch kleine und mittelständische Unternehmen und Genossenschaften müssen Beteiligte an diesem Strukturwandel sein. Zudem bietet sich vor Ort die Chance, in attraktive und zeitgemäße Bildungseinrichtungen, gesellschaftliche Treffpunkte, Kultur- und Sozialeinrichtungen zu investieren. Voraussetzungen dafür sind mutige politische Entscheidungen, vor allem aber auch ein Austausch auf Augenhöhe, das Interesse an der Situation der Menschen und eine funktionierende Bürgerbeteiligung. Wir haben keine Zeit zu verlieren und müssen uns trotzdem die notwendige Zeit nehmen, um den Kohleausstieg nicht überzustülpen, sondern gemeinsam mit den Menschen vor Ort zu gestalten. Nur so erreichen wir das Ziel, möglichst viel Kohle im Boden zu lassen, wirtschaftlich durchzustarten und gutes Leben in den Revieren zu gestalten.

In einem wegweisenden Urteil hat das Bundesverfassungsgericht 2021 festgestellt: Klimaschutz ist Grundrecht. Der Kohleausstieg mit Zieldatum 2030 ist dafür entscheidend. Wer die nötigen Maßnahmen für das 1,5°-Ziel nicht erbringt, begeht Freiheitsraub an den kommenden Generationen. Dieses Urteil ist keine richterliche Empfehlung oder Bitte. Aus ihm ergibt sich vielmehr die Pflicht zu verbindlichen Klimamaßnahmen, der die gesetzgebende Gewalt wie auch die ausübende Gewalt nachkommen müssen.

Einen ersten großen Schub für den Ausbau erneuerbarer Energien gab das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) 2000, welches Deutschland vor 20 Jahren zum Weltmarktführer in den Zukunftsbranchen Wind- und Solarenergie machte. Viele Länder kopierten dieses erfolgreiche Klimaschutzgesetz, das zu tausenden Industriearbeitsplätzen führte. Doch durch die fossile Politik von Schwarz-Gelb und der Großen Koalition wurde diese Entwicklung abgebrochen und es folgten 16 verlorene Jahre. Der technologische Vorsprung wurde verspielt und das Resultat ist zudem eine regional sehr unterschiedliche Verteilung erneuerbarer Energien. Auf der anderen Seite sehen wir, dass milliardenschwere Standortentscheidung wie beispielsweise die Ansiedlung von Intel in Magdeburg maßgeblich durch Zugang zu Ökostrom entschieden werden. Wir brauchen den sofortigen Ausbau der Erneuerbaren, um unser Klima zu schützen, Investitionen zu ermöglichen, um die fatalen Energieabhängigkeiten zu verringern und im weltweiten Technologiewettbewerb nicht dauerhaft ins Hintertreffen zu geraten. Der Ökonom Jens Südekum formuliert diese Notwendigkeit sehr treffend: „Das Land, das als erstes die Klima- und Ressourcenneutralität erreicht, hat seine wirtschaftliche Basis auf den Weltmärkten für Jahrzehnte gesichert.“ Gleichzeitig steigen die Kosten für fossile Energien durch die im Dezember 2022 verschärften CO2-Rechte der Europäischen Union an. Marktwirtschaftlich ist die Entscheidung daher längst gefallen. „Zukunft statt Braunkohle“ ist gültig auf den Klimademos und den Chefetagen der großen Unternehmen. Festzustellen bleibt überdies: Das Argument, wenn die Kohle gehe, gingen auch die Arbeitsplätze, hat sich inzwischen umgekehrt. Die Unternehmen bauen bereits neue Geschäftsmodelle basierend auf Wind und Sonne auf und Fachkräfte fehlen an vielen Stellen und in vielen Branchen. Binnen 20 Jahren haben sich die Annahmen grundlegend verändert.

Gott hat die Lausitz geschaffen, aber der Teufel hat die Kohle darunter gelegt – sorbisches Sprichwort

Die Situation in Brandenburg, Sachsen-Anhalt und Sachsen ist gesellschaftlich, wirtschaftlich und politisch in maßgeblichen Fragen anders als im Westen. So waren etwa die großen Energieunternehmen LEAG und MIBRAG – bestärkt durch die Landespolitik, aber auch durch Gewerkschaften und Verbände – bis vor wenigen Jahren auf ein einziges Geschäftsmodell fixiert: Braunkohle. Auf den 2020 beschlossenen Kohleausstieg waren Politik und Wirtschaft folglich nicht mit einem Gesamtkonzept vorbereitet und die Festlegung der Kohlekommission auf das Ausstiegsdatum 2038 geschah nicht auf Grundlage technischer Kriterien, sondern aus politischen Motiven. Es wurde über Ersatzmaßnahmen in den Bereichen Energie und Wirtschaft diskutiert. Für den Strukturwandel braucht es aber weitaus mehr: soziale, strukturelle, finanzielle und nicht zuletzt ökologische Fragen blieben offen.

Inzwischen ist den Unternehmen auch im Osten klar, dass sie ihre Geschäftspläne von fossilen Energien auf günstigere, lukrative Erneuerbare umstellen müssen, um das drohende Risiko, schon 2030 mit der Braunkohle nur noch Verluste zu schreiben, zu verringern. Daher soll die Transformation innerhalb der Unternehmen nun in umso größerem Maßstab stattfinden. Mit sogenannten Gigawatt-Factories wollen sie schnell und massiv in erneuerbare Energien investieren. Das kann jedoch dazu führen, dass vor Ort neue Monopole dieser Firmen entstehen. Grundlage dafür sind die Besitzverhältnisse, die durch Zwangsenteignungen der DDR entstanden sind. Für wenige Pfennige wurde Land der Menschen für den Kohleabbau enteignet. Ganze 350 km² Fläche stehen den Firmen zur Verfügung. Daher ist die Befürchtung berechtigt, dass die Unternehmen nun auch die Energiewende vor Ort dominieren werden. Zugleich ist eine breitere Beteiligung der Bürger*innen an den künftigen Erlösen der erneuerbaren Energien durch fehlenden Landbesitz und geringes Eigenkapital stark eingeschränkt.

Dazu kommt, dass bislang nicht geklärt ist, wer die Folgeschäden des Bergbaus und die Renaturierung bezahlt. Ganze Landstriche werden auf Jahrzehnte mit Pumpen- und Rohrsystemen versorgt werden müssen, um die gestörten Wasserhaushalte im Griff zu behalten – sogenannte Ewigkeitskosten. Diese ökologische Dimension wurde von der Kohlekommission nicht betrachtet. Nach öffentlicher Informationslage haben die Unternehmen aber nicht genügend Gelder zurückgelegt. Und das sonst übliche Modell, dass diese Kosten durch ein Folgegeschäft, also über eine neue Kohlegrube, bezahlt werden, ist ausgeschlossen. Hier muss das Verursacherprinzip gelten und diese Fragen müssen im Sinne der Menschen vor Ort gelöst werden. Das bedeutet, dass die Folgekosten nicht auf die Allgemeinheit fallen dürfen und dass der bisherig gewohnte Modus, wir räumen weg, was dem großen Geschäft im Wege steht, nun nicht auch bei den Erneuerbaren zugelassen wird. Genauso wenig wie Mühlrose für die Kohle weggebaggert werden wird, darf es für einen Wind- oder Solarpark weggerissen werden. Hier stehen Bundes- und Landespolitik vor einer großen Aufgabe.

Wir haben keine Zeit zu verlieren und müssen uns trotzdem die notwendige Zeit nehmen, um den Kohleausstieg nicht überzustülpen. Wir brauchen Bürgerbeteiligung und Einbindung, denn die Menschen vor Ort wollen sich nichts vorsetzen lassen, sondern eigene Lösungen und Antworten umsetzen. Ohne die Akzeptanz vor Ort und ohne das Zutrauen, dass der Prozess ein fruchtbringender ist, werden wir am Ende alles verlieren: den gesellschaftlichen Zusammenhalt, die Modernisierungschancen für die Wirtschaft, die Klimaziele und schlimmstenfalls auch die Stabilität der Demokratie. Gesellschaftlicher Frieden muss daher ein Kernanspruch in diesem Prozess sein.

Dafür ist das Bewusstsein wichtig, dass nicht nur die technischen und ökonomischen Zwänge, sondern vor allem die Lebensrealitäten vor Ort einen Einfluss auf die gesellschaftliche Akzeptanz haben. Wenn Züge nur auf eingleisigen Schienen fahren, die noch nie elektrifiziert wurden, oder wenn der Internetzugang seit Jahren nicht schneller wird, wenn durchschnittlich 5,5 Stunden mehr pro Woche für das gleiche Geld gearbeitet werden muss als im Westen, dann sind das täglich sichtbare Zeichen dafür, dass die Probleme des Ostens noch immer nicht ausreichend angegangen werden. Bei der Frage der Akzeptanz für den Kohleausstieg geht es um Stimmungen, um Anerkennung und Wertschätzung von Lebensleistungen. Das Geld muss vor Ort ankommen. Beispielsweise ist das Bundesverkehrsministerium gefragt, die Schieneninfrastrukturprojekte anzugehen – das ist eine der Grundvoraussetzungen dafür, Menschen für die Regionen zu gewinnen. Mit Investition der Strukturwandelgelder in Infrastruktur, in Mobilität und Erreichbarkeit, in Daseinsvorsorge genauso wie in Wirtschaftsförderung und Forschungseinrichtungen starten wir in die neue Zeit. Zugleich sollte nicht nur in Beton, sondern auch in den gesellschaftlichen Zusammenhalt und die sogenannten weichen Standortfaktoren investiert werden. Neben einer guten Daseinsvorsorge geht es um attraktive Bildungsangebote, Kultur- und Sozialeinrichtungen und generationenübergreifende Orte der Begegnung.

Durch das Kohleausstiegsgesetz sind in den drei ostdeutschen Bundesländern viele Milliarden Euro bis 31.12.2026 zu verausgaben. Das ist eine kurze Zeitspanne, um eine solche Größenordnung plan- und maßvoll auszugeben. Erstens müssen für solche Summen eine große Zahl an Verwaltungsvorgängen gleichzeitig durchgeführt werden. Zweitens gilt: Wer viel Geld möglichst schnell ausgeben will, wird das weniger zielgenau und durchdacht tun. Die maßgebliche Hürde ist daher die harte Frist aus dem Bundesfinanzministerium, bis zu der diese Gelder ausgegeben sein müssen. Diese Frist sollte der Finanzminister umgehend lockern, um den Landkreisen und Gemeinden die finanziellen Fesseln abzunehmen. Und es müssen die Voraussetzungen geschaffen werden, damit kleine Kommunen, denen aktuell durch Personalmangel oder Bürokratie die Hände gebunden sind, die Fördermittel überhaupt nutzen können. Nur dann können sie den Umbau erfolgreich vor Ort gestalten. Und natürlich müssen die Gelder, die bis 2038 zugesagt sind, mit einem früheren Kohleausstieg bei Bedarf auch früher bereitgestellt werden. Es sollte aber ebenfalls möglich sein, diese Gelder flexibel über 2030 hinaus in Anspruch nehmen zu können. Es braucht einerseits den schnellen Beginn, den schnellen Kohleausstieg als Impuls des Umbaus, und gleichzeitig mehr Zeit und Flexibilität in der Umsetzung auch über das Jahr 2038 hinaus, um vor Ort eine von den Bürger*innen getragene Transformation zu schaffen.

Gerade aus den beschriebenen Akzeptanzgründen braucht es eben weitaus mehr als die Umstellung der industriellen Riesen: Von den Kommunen bis zu den Bürgerenergiegenossenschaften braucht es alle Teile der Gesellschaft, um die Energiewende voranzubringen. Auch hier hat der Osten Aufholbedarf. Für die bestehenden und kommenden Bürgerenergiegruppen braucht es Unterstützung bei ihrer Arbeit, von der Projektierung bis zum Stromvertrieb.

Wir müssen es schaffen, dass der Osten durchstartet. Eine ausklingende Technik künstlich und teuer am Leben zu halten, während andernorts bereits mit neuen Technologien, mit Innovationen und moderner Produktion Wohlstand aufgebaut wird, ist das Gegenteil von guter Politik für unser Land. Weiten wir unseren Blick von der Kohle hin zur ganzheitlichen Frage, wie wir eine Region mit attraktiven und zukunftsfesten Branchen, mit Jobs für Frauen und Männer, für alle Generationen schaffen. Und nehmen wir bei dieser großen Chance die junge Generation mit, um deren Zukunft es schließlich geht. Sie verdient dieselben Entfaltungsmöglichkeiten wie die Generationen vor ihnen. Das schließt gute gesellschaftliche, wirtschaftliche Bedingungen aber eben auch eine lebendige Natur und eine Eindämmung der Klimakrise ein.