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Axel Vogel spricht zu unserem Antrag „Umwelt- und Verbraucherschutzstandards der Europäischen Union nicht gefährden - Verhandlungen zum Transatlantischen Freihandelsabkommen neu gestalten“

Anrede

Wenn öffentlich über TTIP, das geplante Abkommen zur Transatlantischen Handels- und Investitionspartnerschaft, gesprochen wird, landet die Diskussion sehr bald bei Chlorhühnchen und dem Importfleisch hormonbehandelter Rinder. Das sind Anschauungsobjekte mit Ekelfaktor. Soweit es die in der amerikanischen Tierhaltung verbreitete wachstumsfördernde Hormonbehandlung von Rindern betrifft zudem mit weitreichenden gesundheitlichen Risiken, deren Konsequenzen wir heute noch nicht einschätzen können. Aber auch wenn TTIP uns primär als Abkommen zur Abschaffung der Zölle und zur Beschränkung „nicht-tarifärer Handelshemmnisse“ zum Wohle eines verbesserten Waren- und Handelsaustausches zwischen der EU und den USA verkauft wird, geht es hier nicht um die Frage, ob Außenspiegel am Fahrzeug abzuklappen sein sollen oder nicht. Weder werden am Ende die USA auf das metrische System umsteigen und auf Meilen und Cubic-inches verzichten noch werden wir Europäer unsere Temperaturen in antiquierten Grad-Fahrenheit messen, auch wenn hier umfassendes und sinnvolles Standardisierungspotential steckt. Aber solche Debatten sind Ablenkfütterung und verstellen die Sicht auf das Wesentliche dieser Verhandlungen.

Unter der Überschrift „Reduzierung der Regulierungen“ oder „Ausbau der Standardisierung“ zwischen zwei Wirtschaftsräumen wird hier die Einführung eines einzigen, gigantischen Binnenmarktes zwischen der EU und den USA vorbereitet. Und verbunden mit den Vorstellungen zur Ausgestaltung dieses Abkommens sind die möglichen Folgen eines Chlorhühnchen- und Hormonfleischimports geradezu harmlos. Stichworte dafür sind Transparenz und das verniedlichend als Streitbeilegungsmechanismus bezeichnete ISDS. Im Kern geht es bei der Diskussion darum, ob und in welchem Ausmaß sich die europäischen Regierungen und Parlamente selbst entmündigen und wer zukünftig hierzulande das Sagen hat: Multinationalen Konzerne oder die Demokratie.

Fangen wir mit ISDS an, ein Kürzel, das wir uns alle merken sollten: Zukünftig sollen ausländische Konzerne Staaten generell vor nichtöffentlich tagenden Schiedsgerichten auf hohe Schadensersatzsummen verklagen, wenn sie durch eine nationale Gesetzesänderung oder administrative Maßnahme willkürlich, unverhältnismäßig oder diskriminierend in ihrer Tätigkeit behindert werden. Die Definition, was dann im Einzelnen unter diskriminierend oder unverhältnismäßig zu verstehen ist, bleibt diesen Schiedsgerichten, bei denen es sich um eine Handvoll meist US-amerikanischer Anwaltskanzleien handelt, überlassen. Beispiele für das Wirken dieser Schiedsgerichte gibt es inzwischen zuhauf. Sei es die Klage des Tabakkonzerns Phillip Morris gegen Uruguay aufgrund eines Investitionsschutzabkommens zwischen Uruguay und der Schweiz aus dem Jahre 1991 auf 2 Mrd. US-Dollar (1/5 des Staatshaushaltes) und Australien auf Grund eines Abkommens zwischen Hongkong und Australien. In beiden Ländern berühren strengere Nichtrauchergesetze die Geschäftsinteressen der Zigarettenindustrie. Ein anderes Beispiel ist der spezielle Freund unserer Landesregierung, Vattenfall, der Deutschland wegen des Atomausstiegs auf 4 Milliarden Euro auf Basis eines Vertrages aus dem Jahre 1994 verklagt. Mit einem Schiedsgerichtsverfahren gegen die Umweltauflagen beim Bau des Hamburger Kohlekraftwerks Moorburg auf 1,4 Milliarden Euro hatte Vattenfall bereits die strikte Anwendung der EU-Wasserrahmenrichtlinie außer Kraft gesetzt. Auskünfte zu beiden Verfahren hat die Bundesregierung mit dem Hinweis auf Geheimhaltungsvorschriften übrigens verweigert.

Mit der Einbeziehung dieser Schiedsgerichte in das TTIP könnten wir uns in Zukunft Diskussionen über den Kohleausstieg, Anbauverbote für GVO oder auch das Nachtflugverbote am BER womöglich sparen, da sich immer ein multinationales Unternehmen in seinen Profitinteressen behindert sehen kann.

Auch wenn der Vertreter des Bundeswirtschaftsministeriums, Herr Dr. Hetmeier, beim Fachgespräch versucht hat, uns diese Sorgen zu nehmen und betonte, wie kritisch auch die Bundesregierung diese Frage sieht, ist es nach wie vor erklärte Absicht der EU und der USA einen solchen Mechanismus zu verhandeln. Und am Horizont zieht mit TISA, einem internationalen Abkommen zur Liberalisierung von Dienstleistungen schon das nächste Unheil auf. Auch hier soll ein Schiedsgerichtsverfahren an Stelle der staatlichen Gerichtsbarkeit durchgesetzt werden.

Als ob das nicht alles schon schlimm genug wäre, es kommt alles noch viel schlimmer. Die Verhandlungen zu TISA führte die EU seit Februar 2012 ohne ein offizielles Mandat zu haben. Die Verhandlungen zu TTIP werden von der EU auf Grundlage eines als geheim deklarierten Mandates geführt. Es ist mehreren grünen Europa-Abgeordneten zu verdanken, dass dieses Mandat zwar illegal aber sehr legitim nunmehr im Internet einsehbar ist. Diese Geheimverhandlungen rühren am Kern unserer Demokratie.

Anrede

Lassen Sie mich an dieser Stelle noch etwas grundsätzlicher werden. Wir alle erleben gerade, wie schwer es ist, sich allein in Europa auf ein gemeinsames Vorgehen zu einigen und wie groß die Skepsis in der Bevölkerung ist, vermeintliche Souveränitätsrechte an Brüssel abzugeben. Auch wenn der gemeinsame EU-Binnenmarkt von der Bevölkerung mehrheitlich positiv gesehen wird, sollten wir daraus nicht schlussfolgern, dass das auch bei einem noch viel größeren Binnenmarkt mit den USA der Fall sein würde. Irgendwann ist auch hier die Grenze erreicht, wo die Nachteile, die Vorteile überwiegen. Geheimverhandlungen, exklusive Beteiligungen von Lobbyverbänden und Gerüchte, die mögliche Risiken und Befürchtungen beflügeln, diskreditieren diese Verhandlungen schon jetzt. Natürlich wird es auch Verlierer geben. Ein weitgehend freier Austausch von Waren und Dienstleistungen zwischen den USA und der EU wird vor Allem einen Effizienzwettbewerb in Gang setzen. Große und erfolgreiche Unternehmen werden noch größer und erfolgreicher, mögliche Gewinne noch üppiger ausfallen. Wer die Ängste in der Bevölkerung dagegen nicht ernst nimmt, wer die Fragen nach Gewinnern und Verlierern nicht ehrlich und offen beantworten kann, sollte die Finger davon lassen.

Für uns Grüne ist klar: Ein Abkommen zwischen der Europäischen Union und den Vereinigten Staaten von Amerika zum Abbau von Zöllen und für sinnvolle Standardisierungen wird von uns nicht grundsätzlich abgelehnt.

Die Geheimniskrämerei um TTIP muss allerdings ein Ende haben. Die Verhandlungen zu TTIP sind auszusetzen und dürfen erst nach einer öffentlichen Diskussion und Beschlussfassung im Europäischen Parlament wieder neu gestartet werden. Das kann im Grundsatz auch bedeuten, dass die Verhandlungen zu TTIP überhaupt nicht mehr oder nur mit einem deutlichen verringerten Regelungsspektrum wieder aufgenommen werden dürfen. Klar ist für uns, dass alle Verfahrensbestimmungen, die auf Schiedsgerichte und nicht auf die staatliche Gerichtsbarkeit abheben, keinen Bestand haben dürfen.

Anrede

In unserem Antrag geht es daher genau darum. Diese Verhandlungen müssen ausgesetzt und mit einem transparenten Verfahren unter Einbindung der Öffentlichkeit neu gestartet werden! Alles andere wird der Sache und dem Anspruch an diese Verhandlung nicht gerecht. Wir freuen uns, dass dieser Antrag in den Ausschußberatungen eine Mehrheit gefunden hat.