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Benjamin Raschke spricht zur Aktuellen Stunde "Grüne Woche in Corona-Zeiten. Wo steht die Brandenburger Landwirtschaft?"

- Es gilt das gesprochene Wort!

Frau Präsidentin,
vielen Dank.

Liebe Gäste am Livestream,
liebe Abgeordnete,

wir, Bündnis 90/Die Grünen, haben heute eine Bitte:

Auch wenn unsere Gedanken und unsere Herzen bei den Kranken und Toten der Corona-Pandemie sind, und auch wenn unser Augenmerk jetzt vor allem dem Eindämmen und dem Impfen gilt, so ist unsere Bitte: vergessen wir nicht die Landwirtschaft!

„Normalerweise“ wäre das nicht nötig, normalerweise kam man jetzt im Januar da gar nicht vorbei. Denn traditionell findet in Berlin die Internationale Grüne Woche statt. Agrarpolitik beherrscht die Medien. Viele von uns Abgeordneten sind vor Ort und informieren sich. Der Landwirtschaftsausschuss tagt sogar in der Brandenburghalle - ein genauso festes Ritual wie der anschließende Rundgang von Stand zu Stand. Und Eingeweihte wissen: da gibt es nicht nur Informationen.

Dieses Jahr fehlt all das.

Nicht völlig. Einige Medien Berichten natürlich. Und sowohl die Grüne Woche als auch die Großdemo „Wir haben es satt“ finden irgendwie im Internet statt. Und doch bekommt die Landwirtschaft weniger politische Aufmerksamkeit, als gerade nötig wäre. Wir laden Sie deshalb ein, in unserer aktuellen Stunde gemeinsam zu überlegen: Wie steht´s um die Landwirtschaft. Und wie können wir die Chancen der Krise nutzen?

Ich mache auch gleich den Anfang und sage: es steht schlecht.

Gestern erreichte uns ein Brief des Landesbauernverbandes anlässlich unserer Aktuellen Stunde, - dafür herzlichen Dank- der es noch dramatischer formuliert. Ich zitiere: „Die Landwirtschaft auch in Brandenburg [befindet sich] seit Jahren in einer äußerst schwierigen, existenzbedrohenden Situation.“

Die Gründe kennen wir:

  • Klimawandel: 2020 war das zweitwärmste Jahr seit Wetteraufzeichung und viel zu trocken.
  • Der Nachwuchs fehlt, seit 2010 sind über 160 Betriebe verschwunden.
  • der Ackerboden wird immer teurer
  • dafür sind die Verkaufspreise für Kartoffeln, Getreide, Schweine völlig eingebrochen (und waren vorher schon beschämend niedrig. Zum LEH aber gleich noch.

    2020 waren es die notwendigen! Eindämmungsmaßnahmen gegen Corona, Gaststätten und Hotels haben zu und dieser wichtige Absatzmarkt fehlt fast völlig.

  • Was durch Corona auch fehlte, und auch 2021 schwierig wird, sind die Erntehelfer*innen für Obst und Gemüse. Aber nicht nur für mich als Vegetarier ist die Lage hart,
  • Beim Geflügel kommt noch die Vogelgrippe dazu, allein letztes Wochenende mussten in der Prignitz 16.000 Puten getötet werden, um einer Ausbreitung vorzubeugen.
  • Und dann die Schweine: Ein Teil des Landes, der Osten, liegt in den Schutzzonen gegen Afrikanische Schweinepest. Dem anderen Teil wird von den überregionalen Schlachthöfen kaum noch was abgenommen, nachdem in den unwürdigen Verhältnissen dort Corona an der Tagesordnung war
  • weitere Gründe für die Krise sind der digitale Wandel und die völlig berechtigten, aber enorm gestiegenen Anforderungen der Gesellschaft an Tier- und Umweltschutz

  • vor allem aber nimmt die frappierende Abhängigkeit des Berufsstandes noch weiter zu: wer an die großen Molkereien liefern muss, hat schon verloren, dann allein die bestimmen den Preis und zwar im Nachhinein. Wer Saatgut braucht, kommt weltweit an drei Firmen kaum vorbei: Monsanto, DuPont und Syngenta.
  • Vor allem aber ist es der Lebensmitteleinzelhandel, genauer die Discounter, die in der Verantwortung stehen. Ich bin vom Charakter her nicht so leicht in Rage zu bringen. Aber wenn ich sehe, wie es den Betrieben geht, wenn ich sehe, welchen großartigen Job die Kassier*innen im Supermarkt gerade in der Corona-Krise machen und wenn ich dann lese: das Vermögen der reichsten Deutschen stieg in der Krise weiter an und der reichste Deutsche, Lidl-Gründer Dieter Schwarz hat jetzt nicht 30, sondern 40 Mrd. Euro auf dem Konto, dann kommt in mir die kalte Wut hoch.
  • Und ich sage: mit dieser Umverteilung von unten nach oben muss Schluss sein!

Aber gut, ich versuche, ruhig zu bleiben. So ist das große Bild: das bisherige System von Landwirtschaft und Vermarktung ist so richtig in der Krise!

Im Kleinen sieht es dagegen deutlich besser aus.

  • Die Nachfrage nach regionalen Produkten ist förmlich explodiert: laut proagro melden die Hofläden in Brandenburg für 2020 ein Umsatzplus von 20-30 Prozent!
  • Erst recht, wenn es regional und bio ist: Die 4 größten Biolieferdienste haben ihren Umsatz um 60% gesteigert

Das ist geradezu großartig! Da gibt es wundervolle Produkte, bei denen mir das Wasser im Munde zusammenläuft. Es ist zu spüren: da liegt ein Teil der Zukunft. Und doch darf man sich nichts vormachen.

Ich sagte „Im Kleinen sieht es besser aus“, weil: wir dabei immer noch von einer Nische reden.

Der Bio-Anteil in Deutschland liegt bei 5% und bei vielen regionalen Lebensmitteln in Brandenburg, ob bio oder nicht, sind wir genau in solch winzigen Größenordnungen. (Wer genauere Zahlen möchte: Drucksache 6/8911.) Seit Jahren ist klar: da liegt ein Ausweg aus der Krise.

Aus den Krisen, um genau zu sein. Denn sowohl fürs Klima, als auch für die Artenvielfalt ist regional im Schnitt besser.

Und doch bleibt es seit Jahren Theorie. Aber, liebe Kolleg*innen, wenn nicht jetzt, bei dieser Nachfrage, diesem Wertewandel, wann sonst sollten wir diese Chance nutzen?

Ich mach‘s konkret: Was tun, damit wir endlich vorankommen? Ich will gar nicht das große Rad drehen und Kapitalismus überwinden. Ich beschränke mich erstmal auf 6 Punkte.

1. Bio ist nicht die Lösung. Jedenfalls nicht allein.

Nicht falsch verstehen: Bio ist toll, ich bin ein großer Fan.

Und wir halten auch eisern an unserem Ziel: 20% bis 2024 fest. Der Ökoaktionsplan kommt! Aber wir dürfen dabei nicht in ideologischen Schützengräben sitzen. Denn natürlich ist Bio nicht der Weisheit letzter Schluss, gerade wenn ich mir da die riesigen Legehennen-Betriebe ansehe.

Vor allem ist der Weg noch weit. Dafür ist Bio anschlussfähig an andere gute Ideen die sich wunderbar damit verbinden lassen, zum Beispiel Agroforst oder Regenerative Landwirtschaft (Gruß an Alt Madlitz). Die lassen sich jedoch auch sehr gut mit konventioneller Landwirtschaft verbinden. Und daran müssen wir arbeiten: die Landwirtschaft insgesamt ökologischer zu machen.

Der nächste Schritt steht kurz bevor: Ein Kompromiss aus den beiden Volksinitiativen zur Artenvielfalt.

2. Ein, wenn nicht der Schlüssel liegt in der Zusammenarbeit

Der Zuwachs der Solidarischen Landwirtschaft zeigt das eindrucksvoll. Ich führe das jetzt nicht weiter aus, weil Dietmar Woidke hinter mir sonst gleich wieder fluchen wird. Aber ich empfehle die Internetseite Brandenburgimwandel.net. Aber was wir brauchen ist die Zusammenarbeit mit Berlin. Der Landwirtschaftsausschuss hat gerade ein tolles Fachgespräch gemacht und dort die Idee eines Runden Tisches aufgebracht. Unbedingt. Unbedingt auch mit Berlin. Und Unbedingt mit der Zivilgesellschaft auf Augenhöhe, Stichwort Ernährungsräte. Und ich sehe viel Dialogbereitschaft, etwa beim Landesbauernverband mit seinem druckfrischen Konzeptpapier „Brandenburger Weg“. Wir sicher nicht alles, aber dennoch: Danke dafür!

3. Keine Kompromisse beim Tierschutz

Bei aller Offenheit will ich aber klarstellen: Wir haben eine klare Haltung. Wir haben uns in der Koalition in harten Verhandlungen geeinigt: Ja zur Tierhaltung in Brandenburg, aber zu guter. Und Nein zu schwarzen Schafen. Und das werden wir durchziehen. Der erste Betrieb mit Schweinehaltung, im MOL wurde geschlossen, nachdem selten grausame Bilder bekannt wurden. Und gestern habe ich eine Mündliche Anfrage zur Putenmast in Roddahn gestellt, wo auch alle 2 Jahre grausame Verstöße publik werden und dann ein Mitarbeiter gehen muss.

Ich kann solchen Betrieben versichern: Abstriche beim Tierschutz, gar Tierquälerei wird uns mit uns nicht geben!

4. Den Ausverkauf des Bodens stoppen

Das kann ich kurz machen, dafür braucht es vor allem zwei Dinge: ein Agrarstrukturelles Leitbild. Das kommt!

Und zweitens eine Herausgabe der BVVG-Ackerflächen vom Bund an die Länder. Da sperrt sich noch der Vizekanzler im Bund, Olaf Scholz. Wir werden da mit einer Bundesratsinitiative Druck machen. Und ich bin verhalten optimistisch mit Blick auf die Bundestagswahlen. Wer in Brandenburg kandidiert, muss dazu eine Antwort haben. Und ich hörte aus zuversichtlichen Quellen, seine Gegenkandidatin wäre dafür.

5. Zerschlagen wir ein paar Abhängigkeiten

Klar, da reden wir vor allem über Europa und den Bund.

  • Das EU-Mercosur-Abkommen darf nicht kommen
  • Aber auch wir können etwas tun: Im Koalitionsvertrag haben wir uns geeinigt, den Bund beim Thema Molkereien & Schlachthöfen anzutreiben. Stichwort Artikel 148 Gemeinsame Marktorganisation.
  • Vor allem aber müssen wir Gegenstrukturen aufbauen: Mobile Schlachtung. Regionale Schlachthöfe Ja, da gehen auch wir Grünen mit. Allein schon um die Tiertransporte zu verringern.

Und damit bin ich auch beim letzten Punkt

6. Geben wir Geld aus.

Nicht fürs System. Sondern den Wandel:

  1. Bei der Stallbauförderung
  2. Mit Weideprämien
  3. Mit einer Richtlinie für Regionale Wertschöpfungsketten.
  4. Vor allem mit dem Hebel Gemeinschaftsverpflegung. Schaffen wir das vereinbarte zweistufige Regionalsiegel und lassen wir all die Kitas, Schulen und Rathäuser endlich bio und regionales Essen aus Brandenburg einkaufen!

Zusammengefasst:

Ja, die Landwirtschaft in Brandenburg ist in tiefer Krise.

Ja, Corona hat das noch verstärkt.

Und ja, regional ist ein großer Teil der Lösung.

Nur dass wir jetzt nicht mehr reden, sondern anpacken.

Das nun also bündnisgrüne Sicht auf die Lage und unsere Vorschläge. Jetzt bin ich sehr gespannt auf Ihre.

Vielen Dank!