- Es gilt das gesprochene Wort!
Heute beziehe ich mich mal auf mich selbst. Am 24.September habe ich hier, an dieser Stelle davon gesprochen, dass es aus meiner Sicht überaus notwendig ist, die Erfahrungen vor Ort, die in dieser Krise gemacht wurden und werden, ernsthaft auszuwerten und zu diesem Zwecke mit denen ins Gespräch zu kommen, die das Leben am Laufen halten und Maßnahmen im richtigen, echten Leben umsetzen.
Ich habe ohne Anspruch auf Vollständigkeit aufgezählt: Kitas, Schulen, Krankenhäuser, Kommunen, Touristiker, Gastronomen, Unternehmen, KünstlerInnen, Vereine, soziale Träger und füge hinzu: ja, liebe LINKE, auch Gewerkschaften und andere Menschen aus der Zivilgesellschaft, Religionsvertreter vielleicht, auch Wissenschaftler…und so weiter. Viele von uns, die meisten, würde ich vermuten, denken intensiv darüber nach, wie die Basis für schwerwiegende Entscheidungen breiter werden kann. Und ich finde, man muss tatsächlich sehr ernsthaft darüber nachdenken. Ich habe mir angeschaut , welche Varianten es momentan gibt, bzw. welche Ideen in der Diskussion sind. Ich unterstelle allen, dass es um von mir beschriebene Beteiligungsvarianten einer möglichst großen Gruppe geht. Aber auch um repräsentative Beteiligung – die es doch sein müsste, oder? Schon darüber müsste man sich auseinandersetzen.
Die momentane Entscheidungsbasis ist zum einen das Infektionsschutzgesetz. Ehrlich gesagt: alle wußten irgendwie, dass es sowas gibt. Ärztinnen und Ärzte kennen es und wenden es, Überraschung, auch an. Das merken wir bloss nicht, weil, wenn zum Beispiel Arzt A bei Patient B eine meldepflichtige Krankheit hat. Dann ist diese Meldepflicht eine Vorsichtsmaßnahme um rechtzeitig zu erkennen, was eventuell zum Schutz anderer zu tun ist. Aber so richtig von Interesse war es eher nicht. Weil es in seinem gesamten Ausmaß nie zum Einsatz kam. Angesichts Corona stellen wir alle fest: Oh, da gibt es ein Bundesgesetz, dass aber von den Ländern vollzogen werden muss, unserer föderalen Struktur wegen. Ich erinnere daran, dass wir lange und immer wieder debattiert haben, wir im Plenum und in den Ausschüssen, dass es doch irgendwie nicht so recht nachvollziehbar ist, dass jeder seine eigenen Regelungen trifft. Mit Verwerfungen, Unverständnis hie und da, grundsätzlichen Debatten. Nun geht es im Falle einer Pandemie um schnelle Entscheidungen im Zweifel, auch das merken wir alle. Wir merken doch irgendwie alle auch, dass das Gespräch mit Virologen möglicherweise nicht wirklich reicht. Wir machen alle zum ersten Mal überhaupt die einschneidende Erfahrung, dass es natürlich um den Schutz der physischen Gesundheit von uns allen geht. Um die Belastbarkeit derer, die in Krankenhäusern und Arztpraxen für genau das sorgen sollen. Und da gibt es deutliche Belastungsgrenzen. Aber, was uns allen doch immer deutlicher wird: die Auswirkungen reichen viel weiter. In jedes einzelne Leben hinein.
Und weil das so ist, wird nun vielerorts nachgedacht, ob denn wirklich optimal geregelt ist, wie Entscheidungen zustanden kommen. Legitim. Nachvollziehbar. Wichtig. Und es gibt erste Versuche, etwas zu verändern. Über Beiräte zum Beispiel.
Auffällig: Bei allem, was da an Initiativen unterwegs ist, steht Beirat drüber. Meist wissenschaftlicher Beirat. In Thüringen gibt es einen, auf den sie sich vermutlich berufen. Dieser wirklich so gut wie ausschließlich mit WissenschaftlerInnen nahe beieinanderliegenden Fachrichtungen arbeite, er widmet sich verschiedenen Problemstellungen – aber, fest zu halten ist auch, dass sich die aktuelle Situation in Sachen Pandemie nicht signifikant unterscheidet von der in den anderen Bundesländern.
Auch die Bündnisgrünen regen, wie Sie sicher wissen, auf Bundesebene und in manch einem Land die Gründung eines Beirats an. Weil für uns maximale Transparenz und Beteiligung von großer Bedeutung sind. Aber auch bei den vorliegenden Entwürfen geht es sehr stark in Richtung wissenschaftliche Beratung. Immerhin, völlig verschiedene Fachrichtungen sind gemeint. Nun bleibt doch zunächst mal auch festzustellen, dass weder Bundesregierung noch Landesregierungen nicht aus dem hohlen Bauch heraus entscheiden. Sie werden unaufhörlich von rennomierten wissenschaftlichen Institutionen beraten. Insofern gibt es, wenn Sie so wollen, die vielfach geforderte wissenschaftliche Beratung bereits.
Ihr Vorschlag, was die Zusammensetzung eines Beirats betrifft, geht weit darüber hinaus.
Grundsätzlich sind wir sehr für ein Gremium, dass vor allem die gesellschaftlich relevanten Gruppen einbindet in Überlegungen und möglicherweise sogar Entscheidungen mit vorbereitet. Aber es gilt sehr genau zu überlegen, wann ein solcher Beirat ins Leben gerufen wird, welche Aufgaben er haben soll und mindestens genauso wichtig ist die dann zu treffende Entscheidung, wer denn nun wirklich dabei sein müsste. Ein solcher Prozeß, das wissen Sie auch, dauert Monate und muss gut koordiniert und vorbereitet werden. Dafür müssen wir uns wirklich Zeit nehmen. Um genau zu schauen, was gut war, was nicht so gut war. Um auf mit Sicherheit auf uns zukommende andere, vielleicht ähnliche Situationen vorbereitet zu sein.
Vorbereitung auf solche Situationen wie die, in der wir uns 2020 wiederfinden, die sind von uns allen ziemlich vernachlässigt worden. Ich verweise deshalb ausdrücklich auf den Bericht zur Risikoanalyse aus 2012. In der Präambel schreiben die Verfasser sinngemäß, dass es bei wirklichen Risiken um partnerschaftliches Zusammenwirken über föderale Grenzen hinweg geht, darum, dass eine strikte Aufteilung der Zuständigkeiten zu kurz greift in solchen Fällen. Vielleicht, so füge ich hinzu, sollten wir mit aller nötigen Sorgfalt erstmal darüber nachdenken, welche Aufgabe ein Beirat auf Landesebene haben sollte.
Sehr schnelle Reaktionen auf eine sich dynamisch verändernde Lage, das haben wir ja seit Monaten, scheint mir jedenfalls nicht die Stärke eines solchen Gremiums zu sein. Und für den Austausch und für bohrendes Nachfragen haben wir die Ausschüsse, immerhin.
Ich schlage vor: Lassen Sie uns, wenn wir einigermaßen Licht am Ende des Tunnels sehen, gemeinsam über eine geeignete Variante nachdenken und debattieren. Vielleicht im Zusammenhang mit der Arbeit am Beteiligungsgesetz. Das würden wir vorschlagen und den Antrag aus den genannten Gründen jetzt ablehnen.