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Carla Kniestedt spricht zu: Ergebnisse der Konferenz der Regierungschef*innen der Länder

- Es gilt das gesprochene Wort!

Sehr geehrte Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen, liebe Mitmenschen in Brandenburg,

ein paar Äußerungen aus den letzten Tagen, die man öffentlich wahrnehmen konnte:

Der Empfänger der Nachricht mache sich, Zitat, am größten Verbrechen an der Menschheit, dass je stattgefunden hat, mitschuldig. Oder auch, Zitat, sollte es je zu Tribunalen wie bei den Nürnberger Prozessen kommen, sind Sie auch mit dabei wegen Beihilfe zum Völkermord.

Diese und andere Unsäglichkeiten erhielt Günther Jauch, der sich für die Impfkampagne des Bundes engagiert.

Dann kamen die Videos der Künstlerinnen und Künstler, die sich zum Thema lockdown geäußert haben. Die ich persönlich nicht ansatzweise gebraucht hätte und all denen zuneige, die sie mindestens für entbehrlich halten. Aber die Äußerung eines Rundfunkratsmitgliedes, diesen SchauspielerInnen keine Auftrittsmöglichkeit im öffentlich –rechtlichen Fernsehen zu geben, macht mir ernsthaft Sorgen. Ich schließe mich Ulrich Matthes an, grandioser Schauspieler wie ich finde und Präsident der Deutschen Filmakademie, der sagte: Der Ruf, dass beruflich geächtet werden solle, ist skandalös. Da schmeiße ich mich vor meine Kollegen, die ich für ihre Videos kritisiere und sage: Das darf nicht sein.

Letzte sinngemäße Zitate stammen von einer Journalistin: Sie hat in den vergangenen Monaten mit unzähligen Menschen geredet über ihre Situation. Viele waren zweifelnd, manche entsetzt, manche frustriert, manche verzweifelt, manche wütend, manche sachlich, manche emotional. Warum Inzidenzwerte taugen, warum sie doch nicht taugen, warum Kultur und Kunst systemrelevant sind, warum eine Maßnahme unverhältnismäßig ist, die andere noch viel mehr, warum die LUCA-app wichtig ist, warum sie kommen muss, warum sie auf keinen Fall kommen darf.

Ende der Beispiele.

Warum erzähle ich das. Weil wir aufpassen müssen, wie wir miteinander umgehen. Weil die Erschöpfung so groß ist bei allen. Bei denen, die um ihre Existenz bangen und bei denen, die sich große Sorgen um ihre Kinder machen. Und bei allen anderen auch. Weil die Sehnsucht so groß ist nach der Geburtstagsfeier, dem Umarmen, dem durchatmen am Ostseestrand oder wo auch immer, dem Eisbecher im Cafe, dem frisch Gezapften zum Feierabend bei denen, die es genießen wollen und bei denen, die es an den Tisch im Restaurant bringen…ich verstehe deren Verzweiflung, deren Sorgen. Die Frage ist: was machen WIR damit. Wie sprechen WIR über die akuten Probleme. Ich finde, dass Jan Josef Liefers NICHT Recht behalten darf, der nach dem Aufruhr in Sachen Video sagte: wir sind zwischen die Fronten geraten. Auch da: ob ich das so sehe, sei dahingestellt. Was mich daran aufschreckt ist das Wort Fronten.

Für mich die erste Regel: Debatte und Auseinandersetzung: immer. Und ich gestehe, ich hätte mir nie träumen lassen, dass ich einmal monatelang täglich darüber grüble, welche Maßnahmen ich mittragen kann, bei welchen es mir im Magen grummelt. Ich bin manchmal genau so zerissen, wie jeder andere Mensch in diesem Land. Ich erlebe bei mir, dass manche Argumente für oder gegen etwas mir morgens ungeheuer einleuchtend erscheinen, nach Recherchen und Gesprächen dann nicht mehr so – und umgekehrt.

Dieses Virus und seine Folgen sind eine einzige Zumutung. Für uns alle. Und zu dem, was suboptimal gelaufen ist in den vergangenen Monaten habe ich mich hier schon öfter geäußert.

Und ich bin sicher, es wird weitere berechtigte Gründe für Kritik geben. Die unbedingt ausgesprochen werden muss, ob sie mir gefällt, ob ich sie nachvollziehen kann oder nicht, ist nicht entscheidend. MICH zwingt Kritik dazu, neu oder weiter zu denken, abzuwägen und im Ergebnis meine Einschätzung zu revidieren oder auch zu behalten.

Jetzt geht es los mit den Auseinandersetzungen in Sachen Impfprioritäten und um die Frage: wie umgehen mit Geimpften? Ich komme gleich dazu, möchte aber vorher dringend daran erinnern. Wir haben es nach wie vor mit einer weltweiten, wirklichen Pandemie zu tun. Und in Deutschland sind wir, wie ich finde, oft zu zögerlich, zu inkonsequent bei Maßnahmen, zu unklar bei Perspektiven. Und doch: schauen wir mal bitte kurz über den deutschen Tellerrand hinaus. Wer erinnert sich noch an den Januar 2021? Die Verzweiflung war groß in Portugal. Anfang Februar, bei einer landesweiten Inzidenz von 800, kam Hilfe aus Deutschland. Soldatinnen und Soldaten betrieben ein Krankenhaus in Portugal, die Kapazitäten des Landes waren komplett erschöpft. So wie die Menschen. Um die Situation in den Griff zu bekommen, wurde das Land komplett still gelegt bei einem harten lockdown. Bestandteil: eine wirkliche Ausgangssperre rund um die Uhr. Inzwischen ist die Inzidenz dramatisch gesunken, nach und nach wird vorsichtig geöffnet. Und natürlich geimpft.

Schauen Sie sich an, was gerade in Indien passiert. Es ist eine Katastrophe! Epidemiologen und Virulogen sind sich in einer Sache einig: Wir alle müssen eine eherne Regel der Seuchenbekämpfung dringend umsetzen: hit hard and early! Also so früh und machtvoll wie möglich den Erreger eindämmen. Was umso mehr gilt, wenn sich Mutationen ausbreiten. Und wir ihnen Zeit und Möglichkeiten geben, genau das zu tun.

Deshalb bleibt für uns vor allem: Regeln einhalten, so schwer es fällt. Und impfen, impfen, impfen. Um den Mutationen gewissermaßen den Weg abzuschneiden.

Ob nun Inzidenzen der Königsweg sind, vermag ich hundertprozentig nicht zu beurteilen. Was ich aber weiß ist, dass es eine Korrelation gibt zwischen Inzidenz und der dann ein paar Wochen später zu erwartenden Belegung von Betten in Krankenhäusern. Und auf die müssen wir einfach achten. Im Interesse der Belegschaften und im Interesse ALLER kranken Menschen.

Nach diesen für mich grundsätzlichen Gedanken noch ein paar Worte zu den Prioritäten, die von manch einem besser heute als morgen fallen sollen. Ein durchaus nachvollziehbarer Impuls. Und er klingt so ungeheuer dynamisch. Und wird gut begründet. Ich erlaube mir ein ABER. Es gibt nach wie vor gute, wie ich finde bessere Gründe, noch an der Priorisierung festzuhalten. Weil sie die im Blick behält, deren individuelles Risiko besonders hoch ist. Weil eben noch nicht genug Impfstoff für alle da ist.

Und nebenbei bemerkt, ich hätte auch eine Idee, wen ich gern ganz weit vorne sähe nach einem Jahr Pandemie. Und ich finde, auch ich kann gut begründen. Wollen Sie es wissen?

Alle jungen Leute oberhalb der 16 samt Eltern. Die wirklich viel abliefern an Solidarität und Kraft. Seit Monaten. Wäre doch auch ne schöne Sache, sie vorzuziehen.

Aber vor wen? Verstehen Sie, was ich meine? Hätten wir mehr als genug, wäre ja alles leicht. Ist es aber nicht.

Und noch ein Wort zu den Geimpften und der ausgebrochenen Debatte, was sie dürfen oder nicht dürfen. Natürlich müssen Grundrechte so schnell es irgend verantwortbar ist, uns allen zurückgegeben werden. Aber auch bei diesem Thema wünsche ich uns allen Respekt vor den Argumenten derer, die sich Sorgen machen um eine Spaltung der Gesellschaft in die mit und die ohne Impfung, die so sehr warten und geduldig ausharren, bis sie dran sind. Das ist nicht banal, finde ich.

Lassen Sie uns darüber nachdenken und mit Argumenten streiten. Ohne Fronten aufzumachen.