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Ursula Nonnemacher spricht zur Aktuellen Stunde: „Wie weiter mit der gesundheitlichen Versorgung im Land Brandenburg?“

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– Es gilt das gesprochene Wort!

Anrede!

„Für gesetzlich Versicherte wollen wir die Wartezeit auf einen Arzttermin deutlich reduzieren.“ Diese Aussage im Koalitionsvertrag der neuen Bundesregierung sorgt seit Wochen für beträchtliche Aufregung. Die Kassenärztliche Vereinigung soll Facharzttermine zentral vermitteln. Dauert es länger als vier Wochen, hat der Patient das Recht, eine Krankenhausambulanz aufzusuchen und sich dort zulasten des ambulanten Honorartopfes behandeln zu lassen. Während Krankenkassen und Kliniken diesen Vorstoß loben und darin einen Hebel zur Verringerung der Barrieren zwischen ambulanter und stationärer Versorgung sehen, brandmarken Ärztevertreter den Vorschlag als unausgereift und populistisch. Ärztekammerpräsident Montgomery hält das Problem der Facharzttermine für „grandios überschätzt“. Ist es das wirklich?

Zahlreiche Untersuchungen – ob im Auftrag der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, der Forschungsgruppe Wahlen oder des Bundesverbandes der Betriebskrankenkassen – kommen zu dem Ergebnis, dass Wartezeiten von über drei Wochen keineswegs selten sind. Und immer sind gesetzlich Versicherte in der Gruppe mit den längsten Wartezeiten drei- bis fünfmal so häufig vertreten wie Privatpatienten. Am schnellsten sind Termine bei Hausärzten zu bekommen, am längsten wartet man beim Augenarzt.

Eine im September letzten Jahres im Auftrag von Bündnis 90/Die Grünen in Brandenburg durchgeführte Untersuchung zu Wartezeiten auf Facharzttermine bestätigt dies eindrücklich. In Brandenburg wartet man als Kassenpatient durchschnittlich 45 Tage auf einen Facharzttermin, als Privatpatient 21 Tage. Analog anderen Studien ist die Situation besonders gravierend bei Augenärzten: dort warten Kassenpatienten 42 Tage länger auf einen Termin als privat Versicherte. Besonders ungünstig was Wartezeiten allgemein und die unterschiedliche Vergabepraxis an privat und gesetzlich Versicherte aussieht, schneidet die Region Cottbus und das südöstliche Brandenburg ab. Obwohl formal keine Unterversorgung in einer Facharztgruppe vorliegt, ist dort die Arztdichte niedrig und die Altersstruktur der Bevölkerung ungünstiger, was wieder einmal auf die veralteten Daten zur angemessenen Versorgungsdichte verweist. Besonders auffällig bei der Studie war, dass es von Seiten des Praxispersonals bei der Terminvergabe so wenig Nachfragen zur Dringlichkeit des Krankheitsbildes gab – der Versichertenstatus hatte erheblich größere Bedeutung.

An diesen Strukturproblemen hat das GKV-Versorgungsstrukturgesetz bisher fast nichts ändern können. Auch der Koalitionsvertrag bietet keine Vision, wie die Gesundheitsversorgung in Zukunft solidarisch und gerecht verbessert werden kann. Es bleibt bei der unsinnigen Trennung von gesetzlicher und privater Krankenversicherung, d.h. weiterhin entscheidet die Art der Versicherung und nicht die Erkrankung darüber, wie schnell und wie man behandelt wird. Den Gedanken an eine solidarische Bürgerversicherung hat die SPD so schnell fallen lassen wie eine heiße Kartoffel. Weiterhin werden sich Ärzte bevorzugt dort niederlassen, wo der Anteil an Privatpatienten hoch und nicht dort, wo die Bedarfe am höchsten sind. Weiterhin existieren Unter- und Überversorgung nebeneinander her. Daran wird auch eine zentrale Terminvergabe nichts ändern.

Obwohl auf Bundesebene auch Positives ausgehandelt wurde, wie stärkere Berücksichtigung von Qualität, Förderung innovativer Versorgungsformen und ein neuer Anlauf zu einem Präventionsgesetz, zeichnet sich keine grundlegende Reformperspektive ab. Auch die integrierte Versorgung, die für Brandenburg so wichtig wäre und berufsgruppenübergreifende Versorgung werden nicht nachdrücklich genug verfolgt. Das Festschreiben der Arbeitgeberbeiträge bürdet den gesetzlich Versicherten wieder alle Kostensteigerungen alleine auf. Dies belastet Versicherte mit geringem Einkommen spätestens ab 2017 mehr als die schwarz-gelben Kopfpauschalen mit Sozialausgleich. Auch das ist für Brandenburg keine gute Nachricht.